— 380
mehr zu erwärmen und zu interessieren vermochte. Eigentlich gehörte dazu ganz Berlin. Trotz des freien Eintritts war der Besuch der Oper in den letzten Iabren Friedrichs des Großen so schwach geworden, daß die Grenadiere kompagnieweise ins Theater kommandiert werden mußten, damit die Stücke nicht vor leerem Hause gespielt zu werden brauchten.
Das Bedürfnis, natürliche Handlungen mit lebenswahren Tharakteren in der eigenen Sprache aufgeführt und mit einer einfach-herzlichen, warmen Musik vortragen zu sehen, das Bedürfnis auch besonders nach dem Komischen und selbst Burlesken, das in der Opera seria des ,18. Jahrhunderts nicht mehr auf seine Rechnung kam, hatte in allen Ländern, in denen die italienische Oper herrschte, eine dramatische Gattung ins Leben gerufen, deren verschiedene Typen wir heute unter der Bezeichnung „Singspiel" zusammenfassen. Berlin hat den Ruhm, die Geburtsstätte des ersten deutschen Singspiels zu sein. Die berühmte Schauspielertruppe Schönemanns, die s7H2 von Breslau nach Berlin kam, versuchte hier im nächsten Jahre eine deutsche Nachbildung des englischen „Ilm liovil to p»v" unter dem Titel „Der Teufel ist los" zu geben. Der Erfolg war gering, woran vor allem das mangelhafte Sängerpersonal schuld war, vielleicht aber auch der Umstand, daß die beibehaltene englische Musik auf das deutsche Publikum nicht die dem Singspiel notwendige anheimelnde Wirkung ausüben konnte. In Berlin blieb das Stück zunächst ohne Nachfolge. Das deutsche Singspiel wurde erst lebensfähig, als auf sächsischem Boden geeignete Männer dichterisch und musikalisch das englische Vorbild überwanden und der Gattung die nationale Eigentümlichkeit einpflanzten, die ihr Gepräge sein soll. Es waren Ehristian Felix Weiße als Dichter und Standsuß und Johann Adam Hiller als Komponisten. Der Theaterdirektor Koch in Leipzig, der die eigentliche Veranlassung zur Wiederaufnahme des Singspielgedankens gab, führte, nachdem auch in Dresden ein Versuch erfolglos geblieben war, f?32 eine Neubearbeitung von „Der Teufel ist los" auf und erhielt so viel Beifall, daß die neue Kunstgattung trotz des lauten Protestes des Literaturpapstes Gottsched Wurzeln schlug und nach einigen weiteren Versuchen begann, der Großen Oper und dem Schauspiel gefährliche Konkurrenz zu machen. Namentlich in Norddeutschland erreichte das Singspiel im letzten Viertel des Jahrhunderts eine außerordentliche Verbreitung.
In Berlin war schon in den sechziger Jahren die Nachfrage nach Singspielen derart, daß der Theaterdirektor Karl Theophil Döbbelin, der ehemals der berühmten Schuchschen Truppe angehört hatte, sich wider Willen dazu entscknießen mußte, auch das Singspiel zu pflegen. Heinrich Gottfried Koch aber, s77t sein Nachfolger, förderte trotz des anfänglichen Widerstandes seiner Schauspieler, die sich zu singen weigerten, die Sache in dem Maße, daß in den vier Jahren seiner Direktionstätigkeit 3H verschiedene Singspiele gegeben werden konnten. Es waren überwiegend deutsche Komponisten, die bei ihm zu Worte kamen, vor allem Hiller, der mit elf Werken vertreten ist; aber auch französische, besonders Monsignys „Deserteur", Dunis „Milchmädchen" und Philidors „Sancho pansa" mußten zu Gehör gebracht werden, nachdem französische Truppen, die Bergiersche 1767, die Hamonsche 1768 und die Fiervillesche im folgenden Jahre den Berlinern den Geschmack wenigstens an den guten Erzeugnissen der französischen Singspielkunst übermittelt hatten. Italienischen Ursprungs waren nur zwei