früher die Flötenkonzerte des Königs begleitet und nach Agricolas Abgangs die Gpern- aufführungen geleitet hatte, sah sich nach dem Bayerischen Lrbfolgekrieg gezwungen, sein geringes Gehalt durch Musikunterricht zu vergrößern. Daneben widmete er sich der kirchlichen Komposition. Angeregt durch eine sSstimmige Messe von Grazio Benevoli, die ihm Reichardt einst aus Italien mitbrachte, unternahm er selbst ein Kyrie und Gloria löstimmig zu setzen. Nachdem ein Versuch, das Werk mit Theatersängern und Schüler- chären aufzuführen, gescheitert war, ging er daran, das Werk seinen eigenen Schülern einzustudieren. Im Sommer 17stO versammelte er im Hause des Geheimrats Milow jeden Dienstag 12—16 Herren und Damen, mit denen er seine Thöre probierte. Der Winter unterbrach die Übungen, aber im nächsten Frühjahr versammelte sich die kleine Gesellschaft von neuem in dem gastlichen Hause der Frau Generalchirurgus Voitus Unter den Linden, um frei von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nebenzwecken nur der Kunst zu dienen. Das ist die Entstehung der Singakademie, des ersten deutschen Thorvereins, der ein Muster für alle anderen geworden ist. Bald reichten die Räume des Privathauses nicht mehr aus, und der junge Verein mußte die Gastfreundschaft der Kirchen und der Königlichen Akademie der Künste in Anspruch nehmen, bis er im Jahre 1827 ein eigenes Haus beziehen konnte; schon I7stst war die Zahl der Mitglieder auf über 100 gestiegen, und bereits 1833 überschritt sie das halbe Tausend?) Fast das ganze Ist. Jahrhundert hindurch bildeten die Aufführungen der Singakademie den Kern des Berliner Konzertlebens; erst die letzten Jahre haben ihr diese Stellung streitig gemacht. Von allen Aufführungen der Singakademie die bedeutsamste für die gesamte Musikentwicklung des Ist. Jahrhunderts war jene Wiedergeburt der Matthäuspassion Johann Sebastian Bachs durch Felix Mendelssohn im Jahre 182st trotz Zelters Widerstand, eine Aufführung, die mit einem Schlage die Fabel von dem öden Fugenbauer Bach zerstörte und an seine Stelle den gemütstiefen, lebendigen Tondichter setzte. Ls war die entscheidende Tat jener alten Berliner Bachtradition, die durch Karl Philipp Lmanuel, durch Kirnberger und die Prinzessin Amalie Anna, Friedrichs des Großen Schwester, gehegt und namentlich in der Mendelssohnschen Familie treu gepflegt worden war.
Wenn man es auch lebhaft bedauern muß, daß bei dem konservativen Tharakter des Instituts, wie ihn die Meister Fasch, Zelter, Rungenhagen, Grell und Blumner geprägt und gehütet haben, die führenden Geister der Zeit — mit Ausnahme von Mendelssohn, der mit der Singakademie eng verwachsen war — nicht zu Worte kamen, so ist doch erfreulich, daß an einer Stelle und in einer Zeit, die musikalisch zu der buntesten und widerspruchsvollsten gehörte, eine traditionsstarke, stil- gebildete Gemeinschaft über ein Jahrhundert unentwegt hat wirken können, ohne ihre Bedeutung einzubüßen, heute, wo neben der Singakademie zahlreiche Unternehmungen auch der zeitgenössischen Produktion gerecht werden, darf sie sich unbestritten in den Dienst der alten Überlieferungen stellen; in diesem Sinne faßt wohl der gegenwärtige Direktor Georg Schumann seine Tätigkeit auf.
st m. Blumner, Geschichte der Berliner Singakademie. Berkn 18Y1.
st L. Sachs, Prinzessin Amalie von Preußen als Musikerin. lsohenzollern-Iahrbuch iZio, S. 181 ff.