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Trotzdem wurde die Königliche Kapelle gerade für das Konzertleben bedeutungsvoll. Der Konzertmeister Karl Möser veranstaltete seit s8 s3 regelmäßige (Huartett- abende, in denen er Haydns, Mozarts und Beethovens Werke zu Gehör brachte. Seit s8s6 nahm die Königliche Kapelle mit Vorträgen klassischer Sinfonien und Ouvertüren daran teil, und so entstanden die Sinfonieabende der Kapelle. Möser wurde s8H2 pensioniert. Sein Nachfolger W i l h e l m T a u b er t, der noch heute in seinen „Kinderliedern" lebt, führte die Konzerte der Königlichen Kapelle zugunsten der Orchester- Witwen- und Waisenkaffe fort, zunächst gemeinsam mit Mendelssohn und dem Kapellmeister Karl Wilhelm Henning, dann mit großem Erfolge allein. Gin energischer, feuriger und doch besonnener Dirigent, brachte er die Konzerte auf die künstlerische Höhe, die ihnen für lange Jahre den ersten Platz im Konzertleben Berlins sicherte. Als er s89s starb, trat Felix Weingar t n er an seine Stelle, die er bei treuer Anhänglichkeit seines Stammpublikums bis >908 innehatte. Differenzen mit der Kapelle machten seinem Berliner Wirken ein Ende. Heute leitet RichardStrauß die Sinfonieabende.
Ein Jahr, nachdem Taubert die Direktion dieser Konzerte übernommen hatte, machte der Stabsoboist Karl Liebig vom Kaiser Alexander-Garde-Grenadier- Regiment den Versuch, mit seinen Mannschaften in verschiedenen Lokalen klassische Sinfoniekonzerte zu veranstalten. Die Liebigschen Konzerte führten sich trotz vieler Schwierigkeiten rasch ein und verschafften dem Publikum drei- bis viermal wöchentlich den Genuß guter Musik zu niedrigen Preisen. Bald wirkte das Orchester bei den meisten Konzerten der Künstler und der Gesangvereine, auch der Singakademie mit. Es spielte etwa die Rolle des „Liebhaberkonzerts" hundert Jahre früher, nur daß eben die Leistungen auf einer höheren Stufe standen. Mit ihm führte Rad ecke zuerst Schumanns Sinfonien auf. s867 trennte sich die Kapelle von ihrem Begründer und wählte Julius Stern zu ihrem Dirigenten. Aber ihre Blütezeit war vorüber; seit s868 weilte Benjamin Bilse, der gefeierte Stadtmusikus von Liegnitz, mit seinem Orchester in Berlin und gab im Konzerthaus in der Leipzigerstraße sehr besuchte Konzerte. Auch dieses Ensemble geriet in Differenzen mit seinem Gründer und machte sich s882 selbständig, im gleichen Jahr, in dem das Gastspiel des Meininger Hoforchesters unter der Leitung Hans v. Bülow die Unzulänglichkeit der Berliner Orchestermittel ins Bewußtsein des Publikums brachte. Die Kapelle, die den Namen „philharmonisches Orchester" annahm, hat sich seitdem in hartem Kampf die Stellung in der vordersten Reihe der Orchester errungen; in erster Linie verdankt sie diesen Platz neben der eigenen Arbeit der Tätigkeit Bülows, der s887—s893 die großen Abonnementskonzerte der Philharmoniker leitete. Seit 1895 steht an seiner Stelle Arthur Nikisch, über dessen erfolgreiche Wirksamkeit hier nicht gesprochen zu werden braucht.
Trotz der übermäßigen Inanspruchnahme des philharmonischen Orchesters hat es immer noch außerordentlich schwere Existenzbedingungen, das Frühjahr muß es aus Konzertreisen, den Sommer — bis sstl l — als Kurorchester in Scheveningen verbringen, um sich nur halten zu können. Erst neuerdings hat sich die Stadt zu einer Subvention entschlossen. Danach wird es nicht überraschen, daß es neben ihm kein Orchester von gleichem Rang über eine kurze Lebensdauer hinaus hat bringen können.