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Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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bedeutet die Auflösung der Königlichen Kapelle im Jahre 1713 einen sehr merklichen Aufschwung des Liebhabermusizierens; ein großer Teil der entlassenen Musiker fand kein neues Unterkommen und mußte sich durch Stundengeben ernähren.

Die zweite Form, die fast ausschließliche für den Instrumentalmusiker, folgt eng den Gesetzen der Handwerker und verliert ihren Wert in dem Maße, als die Musik selbst ihre zünftige (Organisation abstreift und ihren Handwerkscharakter einbüßt. Zuerst geht die Institution der Kapellknaben zugrunde: brauchbare Knaben treten als Dis- kantisten in das Haus des Kapellmeisters, erlernen nach der Mutation ein Instrument, kommen alsbald als Akzessisten in die Kapelle und werden bei der nächsten Vakanz eingestellt. Für die brandenburgische Kapelle bleiben diese Verhältnisse nur bis 1713 bestehen.' Länger hielten sich die Lehrverfassungen der Stadtpfeifer und der Hof- und Feldtrompeter. Alte Zunftgesetze schrieben eine fünfjährige Lehrzeit vor, in der der Schüler im Notenschreiben und auf mehreren Instrumenten ausgebildet wurde, dabei aber auch wie jeder andere Handwerkslehrling Reinigungs- und Botenarbeiten über­nehmen mußte, bis er Geselle und schließlich Meister wurde. Dieser handwerksmäßige Betrieb hörte in Preußen im wesentlichen (8(0 auf, als mit der Einführung der Ge­werbefreiheit die Stadtpfeifereien im strengen Sinne und die letzten Reste derRitterlichen Trompeterzunft" fielen. Indessen haben sich auch bei uns wie namentlich in Sachsen und Thüringen eine Art Stadtpfeifereien mit ihrem handwerklichen Lehrbetrieb bis in diese Tage hinein gerettet.

Die dritte der älteren Formen des Musikunterrichts ist die kulturell bedeutsamste. Ein großer Teil der Lateinschulen ist in der Weise entstanden, daß der Kirche ein liturgischer Knabenchor angegliedert wurde, für dessen Unterrichtung in.den Fächern des allgemeinen Wissens die Stadt Sorge trug. Allmählich wurde der wissenschaftliche Unterricht die Hauptsache und der Gesang eine Einrichtung, deren pekuniäre Verwertung den Schülern den Besuch der Anstalt vielfach erst ermöglichte. Wir dürfen uns diese alten Zustände nicht zurückwünschen, weil sie mancherlei Nachteile für die Schüler in körperlicher, geistiger und sittlicher Hinsicht mit sich brachten; aber es darf andererseits nicht verkannt werden, daß der Hochstand der deutschen Musik im 17. Jahrhundert außer­ordentlich viel den: Umstande zu verdanken hat, daß alle, die eine Lateinschule besuchten, die aufnahmefähigsten Jahre ihres Lebens in einer überwiegend musikalischen Athmo- sphäre zubrachten: bald hieß es Gesangsproben mitzumachen, bald wurde beim Gottesdienst, bei Tarifen, Hochzeiten und Begräbnissen, bei Straßenumzügen, Schul- koMödien, ja selbst bei den Gpernaufführungen des Hofes gesungen, bald sollte der Kantor beim Dirigieren vertreten werden, bald waren Noten abzuschreiben; am Kurfürst­lichen Gymnasium zu Joachimsthal wurde von deir Schülern sogar Instrumentalmusik getrieben. Auch diese Form des Musikunterrichts, aus der nicht nur musikgebildete Dilettanten, sondern auch zahllose ausübende Musiker, besonders Kantoren und Orga­nisten hervorgegangen sind, verschwindet mehr und mehr im Laufe des Z8. Jahrhunderts. Das berühmte Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin, das Köllnische Gymnasium, das Joachimstbalsche, das jDrenzlauer, alle die Stätten, deren Musikpflege im vorher­gehenden Jahrhundert noch ein Kulturfaktor ersten Ranges gewesen war, vernach­lässigen den Gesang und vollends das Instrumentenspisl immer mehr, bis schließlich