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schweren Kämpfen alles Virtuose und Eigenwillige seines Spiels abgestreist hatte, für sein Ideal der möglichst objektiven Reproduktion wirken zu können hoffte.
Mit dieser besonderen pflege des Klavierspiels hängt es wohl zusammen, daß man von einer Berliner Klaviermusik reden kann. Kleister wie Scharwenka, Moszkowski, Förster wären hier in erster Linie zu nennen.
Rririk und Musikwissenschaft.
Die naive Hingabe an den Kunsttrieb liegt nicht im Tharakter unserer engeren Heimat. Ein starker Drang nach Erkenntnis aus der einen Seite und ein wenig Nüchternheit auf der anderen, dazu eine wesentlich kritische und satirische Veranlagung haben hier in allen Zweigen des Kunstlebens neben die Praxis als gleichberechtigt die Theorie und die Kritik gesetzt. Namentlich die Musik, deren Ausübung schon eine beträchtliche theoretische Vorbildung voraussetzt, mußte neben der Literatur eine breite wissenschaftliche und kritische Behandlung erfahren, die mit den übrigen Seiten des Berliner Geisteslebens im engsten Zusammenhangs steht.
Die Anfänge der märkischen Musiktheorie reichen weit in das 17. Jahrhundert zurück. Im Eingänge stehen die „L^uopsis Nusious pruvtions" des Frankfurters Bart. Gestus (1615) und die Lehrbücher des Nikolaikantors Johann Trüger, vor allem seine „L/nopsis Nusien", die, 1624s in erster Auflage erschienen, die erste umfassende Kompositionslehre des 17. Jahrhunderts ist und das älteste Unterricbtsbucb auf harmonischer, nicht kontrapunktischer Grundlage darstellt. 1685 erschien ein „Kxumku ovKLni puoumulivi" von dem Organisten Kaspar Ern st Tarutius in Lüstrin. Zu Anfang des nächsten Jahrhunderts folgt der Kritiker Martin Heinrich Fuhrmann. Der streitbare Friedrichwerdersche Kantor kämpft in seinen Schriften, namentlich dem 1729 erschienenen Pamphlet „Die an der Kirche Gottes gebaute Satans-Tapelle" gegen Oper, Theater und Modeausländerei; er ist in Berlin der erste, der enthusiastisch für Johann Sebastian Bach eintritt. Wenn sein Stil heute etwas zu temperamentvoll, seine Sprache reichlich grob und rüpelhaft erscheint, so soll man nicht vergessen, daß er in einer Zeit schrieb, in der die Berliner durch die wütenden Fehden der lutherischen und reformierten Prediger an die übelsten Unflätigkeiten in Mort und Schrift gewöhnt waren. Auch als didaktischer Schriftsteller hat sich Fuhrmann, besonders in seinem „Musikalischen Trichter" von 1706 betätigt.
Von 1750 ab bedient sich die musikalische Kritik und Wissenschaft auch in Berlin der neuen Form der Zeitschrift. Nach dem Vorgänge Matthesons, Mitzlers und Scheibes ließ in diesem Jahre der Königliche Kriegsrat Friedrich Wilhelm Marpurg den „Kritischen Musicus an der Spree" wöchentlich erscheinen, der neben wenigen polemischen Aufsätzen eine durch alle hefte laufende Harmonielehre brachte. Wichtiger und in der Form bereits moderner sind die 1754s—1778 erschienenen „historisch-kritischen Beyträge zur Aufnahme der Music"; in fünf Bänden bringen sie zahlreiche Artikel über Musik im allgemeinen, aber auch schon Rezensionen, Biographien, historische Beiträge und Mitteilungen. Ungefähr im gleichen Stile, aber mehr auf die Theorie gerichtet ist die dritte von Marpurgs periodischen Veröffentlichungen, die „Kritischen Briefe über die