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Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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überhaupt erst ins Leben trat; die großen Kämpfe innerhalb der scholastischen Wissen­schaft, die das s3., 14. und 15. Jahrhundert erfüllt hatten, waren, wenn auch nicht geschlichtet, so doch einer gewissen Ermüdung oder Gleichgültigkeit gewichen, und ohne Aufregung zu erzeugen, gingen Altscholastiker, Thomisten, sowieModerne", Gkkamisten, ihren Weg. Ganz besonders friedlich muß es in dieser Beziehung in Frankfurt zu­gegangen sein, wo wie schon oben bemerkt die Thomisten so ziemlich unter sich waren.

Die Universität hatte im Jahre s306 mit nicht weniger als 20 artistischen Dozenten begonnen, wovon s6 allein aus Leipzig kamen, dagegen nur 2 aus Frankfurt stammten. Aus der Anzahl der Promotionen zu Bakkalaren und Magistern ist an der Hand der alten Dekanatsbücher deutlich zu ersehen, wie die Universität seit den zwanziger Jahren einem unaufhaltsamen Rückgang verfiel; die wachsende Verachtung der scholastischen Lehrweise machte sich mehr und mehr fühlbar, die schroffe Stellung gegen die Refor­mation machte das Verderben vollständig. Es half nichts, daß man für die Examina Erleichterungen einführte: die Fakultät verödete. So kann es nicht wundern, daß wissen­schaftliche Großtaten nicht zu verzeichnen sind.

Als Hauptrepräsentant der scholastischen Philosophie ist der literarisch fruchtbare/ durch Wahl zum ersten Dekan und durch die Ernennung zum ersten Vizekanzler aus­gezeichnete Johann Lindholz zu nennen, ein Brandenburger aus Müncheberg, ebenfalls von Leipzig kommend. Seine langatmigen logischen Schriften mit ihrem Gerippe von Autoritäten aus Thomas von Aquin, Albertus Magnus und Aegidius Romanus und ihrem althergebrachten scholastischen Schema, ohne den geringsten Ehrgeiz eigner Resultate, zeigen die ganze Unfruchtbarkeit der absterbenden Scholastik. Dennoch blieb in Frankfurt Lindholz einflußreich bis zu seinem Tode (s335). Auch Wimpinas Ansehen, der bei einigen scholastischen Lehrbüchern als Herausgeber fungierte, konnte die scholastischen Studien nicht heben.

Günstiger stand es um die mathematisch-astronomische Seite. Die Mathematik umfaßte damals das alte (ssiiadrivium: Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik. Diese Gesamtheit vertrat nicht ohne Erfolg zunächst und lange Zeit Ambrosius Lacher, ein Süddeutscher, der ältere mathematische Werke, wie den Euklid und den Johannes de Muris herausgab, aber auch eigene Lehrbücher verfaßte. Besonderen Beifall fand ein Werk von ihm, das er HAoritlimus msroatorum nannte, eine Anleitung zur Handelswissenschaft, die nur wenige Vorläufer bis dahin hatte. Näher dem Humanis­mus stand jener oben schon genannte Frankfurter Mathematiker und Mediziner Zodocus Willichus.

überhaupt konnte nun im dritten Dezennium der Universität der Humanismus endlich kühner daselbst sein Haupt erheben. Die erstenPoeten", denen wir bei der Gründung in Frankfurt begegneten, waren bald der dortigen Atmosphäre überdrüssig geworden. Aesticampian (Zoh. Rhagius) hatte als erster mit Vorlesungen über grie­chische Sprache begonnen, bekämpfte heftig die alten scholastischen Lehrbücher der lateinischen Grammatik, besonders das berüchtigteDoktrinale des Alexander de Villa Dei", gab die Grammatik des Martianus Tapella als weniger barbarisch heraus und kommentierte diejenige des Donat. Zn Mainz, wo er vorher gewesen war, war er