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Wirkungskreis behaupten zu können — er wurde sSstf Propst zu 5t. Nikolai in Berlin — nachdem die lutherischen Ketzereien ihn aus der Stellung eines Hofpredigers in Dresden verdrängt hatten, hier in Berlin war ja auch seit geraumer Zeit der Mittelpunkt aller Bestrebungen zur Versöhnung der protestantischen Konfessionen unter sich, ja eine Zeitlang sogar — unter der Führung von Leibniz — zur Wiedervereinigung mit der katholischen Kirche. Zn Brandenburg fanden schließlich alle Outsider des Glaubens, die Sekten, wie die aus der Heimat vertriebenen Hugenotten und Böhmischen Brüder, tatkräftige Hilfe und Unterstützung, hierher war auch der berühmte Lissaer Bischof der Unitarier, Johann Amos Lomenius, geflüchtet, der schon etwa seit iSZO mit brandenburgischen Männern in Briefwechsel gestanden hatten. Besonders ist unter diesen der Prediger Abraham Menzel zu nennen, der „an pädagogischen Fragen lebhaften Anteil nahm", und dessen Bruder Joachim, selbst Schulmann, mit einer der damals aufkommenden Bilderfibeln hervortrat. Einige Jahre hat Lomenius in der Universitätsstadt Frankfurt gelebt, bevor er anderwärts bessere Bedingungen für seine Reformpläne zu finden glaubte, und er hat mit manchem Frankfurter Professor in vertrautem Verkehr gestanden?) Ls ist auch nicht Zufall, daß Lomenius' Enkel, der Hofprediger Zablonski in Berlin, bald darauf eine so hervorragende Rolle spielte.
Auch Zablonski war aus der Unität der Böhmischen Brüder hervorgegangen, war Sektierer, und seine weitgehende Duldsamkeit war ein geistiges Erbe aus diesen Kreisen. Die.Errichtung einer Akademie der Wissenschaften aber war die Erfüllung eines Ideals seines längst st670) dahingegangenen Großvaters.
Überblickt man den geistigen Kreis um die Königin Sophie Lharlotte und das ganze damalige gelehrte Berlin — „daß es ein solches gab, verdankt Brandenburg dem Großen Kurfürsten"^ —, so erkennt man also Berlin als die Hauptstätte der religiösen Freiheit, sodann aber auch den starken Einfluß der eingewanderten Franzosen, der Refugiss, welche die höhere französische Bildung hier eingebürgert hatten und auch in der Wissenschaft in führender Stellung sich befanden, während die reformierten Theologen sich in Frankreich mit allen gelehrten Waffen den Angriffen der Jesuiten zu erwehren hatten, so war jetzt „Berlin das Hauptquartier des historisch-apologetischen protestantischen Wissens, das aus den Quellen arbeitete", geworden, hier hatte Jacques Abbadie sein berühmtes Werk von der Wahrheit der christlichen Religion vollendet h68§); auf dem Grunde der Kirchengeschichte führten Isaak Beausobre, Jean Lenfant, Alphonse des Vignoles die Kämpfe fort. Alle diese Umstände zusammen gaben der Gesellschaft der Wissenschaften eine geeignete Basis. Aber diese Gesellschaft selbst hat die neu emporkommende Bewegung des Pietismus offenbar nicht in vollem Umfange zu würdigen gewußt. Sie war durchaus im Zeichen des Utilitarismus gestiftet worden, hatte als ihr Siegel den nach oben schwebenden Adler mit dem Motto „Oo^nuta all siäora teuäit" gewählt, und so schienen ihr die Bestrebungen, die auf Betätigung des Gemütes in Glauben und Leben zielten, keine wissenschaftlichen Aufgaben darzustellen r Spener wurde nicht Mitglied der Akademie, und selbst Gottfried Arnold, der Verfasser der „Kirchen- und Ketzerhistorie" brachte ihr noch zu wenig von unmittelbar Nutz-
0 Rvaeala, Die Reform des Lomenius in Deutschland, fNoii. Oerm. Dneä. Bd. 26?
2 ) A. harnack, a. a. G.