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Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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religiöse Gefühl als einErfassen des Unendlichen in jedem Momente unseres Daseins" ; derKern aller Religion ist die ehrfurchtsvolle Betrachtung auch des Gewöhnlichen und Alltäglichen als Ausfluß ewiger Gesetze". Und so stellte er auch in seiner weiteren Tätig­keit als Geistlicher immer das Gemeinsanrkeitsgefühl der Volksgenossen, die soziale und nationale Gesinnung an die Spitze seiner moralischen Forderungen. Auf solchem Grunde konnten erst die Humboldt-Süvernschen Reformen des Bildungswesens für den Volks- cbarakter Früchte tragen. War doch Schleiermacher selbst das Vorbild eines Patrioten. Fest, wie Fichte, schloß er sich hoffnungsvoll an den zertrümmerten Preußenstaat an und beteiligte sich begeistert an dem Aufbau der ersten, wirklich modernen nationalen Hochschule.

Die tiefdurchdachten Pläne ausgezeichneter Männer für diese große Gründung fanden zunächst nicht freie Bahn; denn schon die Frage der Grtswahl führte zu Schwierig­keiten. Der großmächtige Kanzler von Stein war kein Freund Berlins, das ihm mit seinen unbestreitbar lockeren Sitten für eine Studienstadt ungeeignet erschien, so daß man in Frankfurt a. d. G. sich Hoffnung machen konnte, die alte Viadrina solle dort wieder aufleben. Inzwischen machte das vom König I^röme neu eröffnete Halle erhebliche Konkurrenz, und viele von den für Berlin in Aussicht genommenen Gelehrten wurden abtrünnig. Um so glänzender war das Verhalten anderer, wie Fichte, Schleiermacher, Schmalz, dem Staatswissenschafter, u. a. die sofort, ohne Aussicht auf Gehalt, ihre Vor­lesungen schon im Winter l807/08 begannen, kurz vor dem Amtsantritt Wilhelms von Humboldt, dem manschließlich die vollendete Gründung der Berliner Universität verdankt".

Auch Humboldt hatte anfangs schwere Bedenken gegen Berlin als Musensitz, aber allmählich überzeugte er sich von dem Werte der Hauptstadt für die neue Bildungsanstalt, wenn es gelten sollte, wie er in seiner oben erwähnten Denkschrift sagte,dem Staate tiefere Quellen des Lebens zu erschließen". Einen weitreichenden Einfluß auf die Bildung der ganzen Nation könne nur eine Universität in der Hauptstadt gewinnen. Er hat dann den König in Königsberg für die Sache gewonnen und für die materielle Sicherung der Gründung Sorge getragen.

Alle praktischen Ziele Humboldts wurden aber getragen von einer originalen, höchst idealen Auffassung aller Bildungsbestrebungen?) Er stand im vollkommensten Gegensatz zu den letzten Vorgängern unter den höchsten Kultusbeamten der preußischen Regierung und der bisherigen Zeitrichtung. Ihm galt der Staat für die höheren Interessen nichts, dieGüter der Nationalbildung" sollen nur durch die freiwirkende Gesamtheit der Nation geschaffen werden; der Staat soll möglichst wenig sich einmischen.Das war ein voll­kommenes Abwenden von den Begriffen, die ein absolutes Königtum aufgerichtet hatte." Die Elemente aller nationalen Bildung lagen für Humboldt im freien Entfalten aller Kräfte nach bewußten, sittlichen Pflichten. Und diese Elemente müssen als grundlegende auf allen Stufen der Erziehung die gleichen sein. Schon auf der Elementarschule muß also nicht der Beruf, sondern die allgemeine Bildung das Ziel sein und jedem Spezialunterricht vorangehen. Auf Übung des Gedächtnisses, Schärfung des Verstandes, Klärung des Urteils, Verfeinerung des sittlichen Gefühls darauf kommt es zunächst an.

>) vgl. L. Zxraiiger, Wilh. v. Humboldt. Berlin tdw.