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Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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zehntelange Kampf zwischen humanistischen und realistischen höheren Schulen. Zunächst betrachtete der Staat das alte, humanistische Gymnasium als die allein berechtigte Voll­anstalt. Seit 1852 stand an der Spitze des höheren Schulwesens von ganz stützen L u dwig Wiese. Zu Herford in Westfalen geboren, hatte er in Berlin Theologie und Philologie studiert, um darauf in den Schuldienst zu treten; in Berlin, Tlausthal und prenzlau war er an den dortigen Gymnasien tätig, bis er 1852 durch von Raumer ins Ministerium gerufen wurde. Sein Einfluß auf die Verwaltung des höheren Schulwesens hat seine Amtsführung überdauert. Obgleich ein weitblickender, einsichtsvoller Mann, war er doch so stark konservativ gesinnt, daß er seine Antipathie gegen die Realunterrichts­anstalten niemals hat loswerden können. Nach 1870 aber ließ sich die Entwicklung nicht mehr aushalten, die eilende Zeit verlangte neue Bildungsorganisationen. Der von dem aus­gezeichneten Philologen und Schulenorganisator Ministerialrat Hermann Bonitz im März 1882 an Stelle eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes herausgebrachte Lehrplan für sämtliche höhere Schulen Preußens war ein erster Schritt zur Klärung der Verhältnisse, ohne die treibenden Kräfte im Streite zu beschwichtigen. Bonitz, ein geborener Han­noveraner, hatte in Berlin seine Studien unter Böckh und Lachmann erledigt, war mehr­fach Lehrer an Berliner höheren Schulen gewesen, wurde nach einer ruhmreichen Dienst­zeit im Schulwesen Österreichs Direktor desGrauen Klosters" zu Berlin und trat 1875 nach Wiese in das Unterrichtsministerium.

Wir müssen nun von dem Kampfe um dieBerechtigungen" wenigstens noch das Endergebnis erwähnen, da sich dieser Kampf in einem mehr als gewöhnlichen Sinne in der Staatshauptstadt entschied; denn der Monarch war es selbst, der durch sein persönliches Eingreifen den modern-realistischen Unterrichtsbetrieb zur vollen Anerkennung zu bringen suchte. Die berühmte Konferenz im Dezember I8ß0 stand unter Kaiser Wilhelms II. unmittelbarster Anregung, brachte jedoch keine Formierung der verschiedenen Anstalts­gruppen zustande, die auf die Dauer haltbar schien, bis im Jahre IßOO die volle Gleich­berechtigung der drei Gattungen höherer Lehranstalten, Gymnasien, Realgymnasien, Oberrealschulen ausgesprochen wurde, und damit der große Streit um den höheren Wert der durch sie vermittelten Bildung zwar nicht entschieden, aber bis auf weiteres in einen inneren und stilleren Wettbewerb verwandelt worden ist.

Auch in diesen Kämpfen der letzten 25 Jahre hatte es sich wieder gezeigt, daß die Bevölkerung der Mark Brandenburg eine unzweideutige und natürliche Hinneigung zu den realistischen Bildungsanstalten besaß offenbar eine Folge der realbegründeten An­schauungsweise ihrer Bewohner. Die Verhältnisse der Gegenwart werden darüber weiter unten deutlicheren Aufschluß geben.

In derselben Richtung wie das Aufkommen der Realanstalten offenbart das technische und gewerbliche Fachschulwesen das Bildungsbedürfnis des Volkes wie die zunehmende Aufmerksamkeit der Behörden darauf. In Brandenburg­preußen ist es zuerst in größerem Stile zu einer praktischen Verwertung des Gedankens gekommen, daß die'Volkswirtschaft eines Staates von der Ausbildung der Bewohner in Handel, Gewerbe und Technik abhänge. Und wieder ist es ein geborener Branden­burger sowie ein in der Mark herangebildeter Beamter gewesen, die sich auf diesem Ge­biete unvergängliche Verdienste erwarben. Wir waren Gottlob Johann Christian