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Me die gesamte Berliner Geisteswissenschaft von Anfang an einen historischen Boden suchte, der ihr innere Kraft und feste Wurzeln verleihe, so gelangte die historische Denkweise auch in die Jurisprudenz die vorher vielfach nur unwissenschaftliche Praxis nach alten Mustern oder eine Beute freiester Spekulation auf metaphysischen oder theologi- sierenden Grundanschauungen gewesen war: An Stelle der Voraussetzungen des früheren Naturrechts trat das historische Recht: das Recht wie der Staat ist ein Produkt der geschichtlichen und nationalen Entwicklung, ein Ergebnis des Rechtsbewußtseins im ganzen Volke. Als Gründer dieser „historischen Schule" — insofern er sie eigentlich zu Ansehen brachte — ist der große Rechtslehrer Friedrich Karl von Savigny (1779—1861) anzusehen. Er war in Frankfurt a. Nk. geboren. Nach frühzeitiger akademischer Tätigkeit in Marburg und Landshut kam er sofort bei Gründung der Berliner Hochschule an diese und stieg im preußischen Staatsdienst bis zur Mirde eines Ministers (1847), in der Mark eine zweite Heimat findend. Seine geschichtliche Auffassung des Rechts, die in seiner auch gerade jetzt wieder lesenswerten Schrift: „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" (1814) zum Worte kam, verhinderte die Ausartung der infolge der vaterländischen Hochflut entstandenen Agitation gegen alles Fremdländische, also auch des römischen Rechtes. Seine Hauptwerke sind seine Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter und sein System des heutigen römischen Rechts. Durch die revolutionären Ereignisse von f8H8 veranlaßt, verließ er den öffentlichen Dienst, lebte aber noch lange in wissenschaftlicher Muße. Einer von Savignys hervorragendsten Schülern war Zoh. Friedr. Ludwig Göschen, der aus Königsberg stammte und, wie sein Lehrer, schon 1(8(0 nach Berlin kam, wo er mit 25 Zähren eine Professur erhielt, die er bis (822 inne hatte, als er nach Göttingen gemfen wurde.
Allmählich versöhnten sich die beiden entgegengesetzten Auffassungen der philosophischen und der historischen Rechtsschulen, aber der Lauf der Zeiten brachte es mit sich, daß zur selben Zeit, als von der Geschichte des Rechts und des römischen im. besonderen tiefere Aufschlüsse über das Rechtsleben der Völker im allgemeinen erwartet wurden, sich ein ganz neuer Zweig der Rechtswissenschaft emporhob und sich fortan auf ganz der gleichen geschichtlichen Forschungslinie bewegte: das deutsche Recht. Und ebenso lag es in den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen, daß gerade Berlin als der natürlicheMittelpunkt für diese nationaleMssenschaft sich darbot, wo eben das nationale Leben selbst eine großartige Auferstehung feierte. Wir hatten erwähnt, wie R. Fr. Eichhorn zuerst dem alten deutschen Rechte eine wissenschaftliche Seite abgewann, wie Zakob Grimm in seinen Rechtsaltertümern und seinen Weistümern neue Einsichten in die Anschauungen unserer Vorfahren eröffnete. Aber diese Pioniere blieben nicht allein. Gustav Homeyer, ein Pommer von Geburt, wurde (824 in Berlin Professor. Seine große Ausgabe des „Sachsenspiegels" und seine anschließenden Forschungen gaben einem großen Teile der Kenntnis des alten deutschen Rechtes exakte Grundlagen. Friedrich Gierke, ebenfalls Pommer, habilitierte sich 1(867 in Berlin, wo er wenige Zahre darauf Professor wurde; er vertauschte seinen Lehrstuhl jedoch bald mit einem in Breslau. Sein Werk über das deutsche Genossenschaftsrecht streift auch das ältere Bildungswesen mit dem Blick eines weitausschauenden Forschers. Aus der jüngsten Vergangenheit wurde noch Heinrich