2: Aber noch eins gehört trotz der vielfachen Motive des sittlichen Handelns, denen wir begegnen, zum unveräußerlichen Grundbestand der Ethik: Die religiöse Orientierung der sittlichen Forderungen. Mag nun die mehr immanente Begründung sittlicher Forderungen, wie sie der Weisheitsliteratur eignet, vorherrschen, mag man den Gedanken auf die diesseitige oder jenseitige Vergeltung richten, im Grund steht hinter allen den einzelnen Motiven immer der Gedanke an Gott. In dieser innigen Verbindung von Religion und Ethik hat — trotz aller Belastungen beider mit Außen» dingen — auch das spätere Judentum das Erbe der Väter gewahrt. Man kann mit Recht zusammenfassend behaupten, daß das sittliche Handeln ein Handeln aus der Furcht Gottes ist. Selbst die auf eine mehr immanente Betrachtung gerichtete Spruchweisheit stellt als ihren ersten und obersten Grundsatz den Gedanken auf: daß die Furcht Gottes Anfang und Wurzel aller Weisheit sei (Sir. 1, 20). — Wilhelm Bousset: Die Religion d. Judentums, 1906, S. 476.
3: Aber es läßt sich noch mehr sagen. Auch an dem Bewußtsein, daß letztlich alle ethischen Forderungen und alles ethische Handeln eine Einheit bilden, fehlt es nicht ganz. Man kennt die Einheit der guten Gesinnung und das Handeln aus dieser Gesinnung heraus. Darauf ist schon oben (vgl. S. 158 f.) hingewiesen. Auf die einheitliche ethische Gesinnung wird beim Siraciden der größte Wert gelegt. — Wilhelm Bousset: Die Religion d. Judentums, 1906, S. 480.
4: Es ist also die Sittlichkeit an sich, die Jahve fordert, die Unsittlichkeit an sich, die er bestraft; die Schranken des Partikularismus, der bloß nationalen Religion, sind damit im Grundsatz durchbrochen. Universalismus und individuelle Religion müssen daraus auf die Dauer emporwachsen. — Karl Budde: Die Religion d. Volkes Israel, 1905, S. 120.
5: Aus dem Bisherigen schon hat sich gezeigt, daß die jüdische Ethik in ihrer höchsten Vollendung zu einer reinen Gesinnungsethik sich emporentwickelt hat. Wir sollen dem Gesetz des Herrn folgen, dies aber ist niemand völlig bekannt, vielmehr ist eine Gesamteinstellung, eine Gesinnung, nämlich „die Furcht des Herrn“ die letzte Weisheit, oder auch die „Lust zum Gesetz des Herrn“, wie der erste Psalm sagt. — Hugo Dingler: Die Kultur d. Juden, 1919, S. 106.
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