Christliche Schriftsteller
1: Die Spekulation vom bösen Trieb zeigt, wie tief durchdrungen die jüdischen Frommen von der Unzulänglichkeit und Sündhaftigkeit des menschlichen Wesens waren. Dabei sind aber zwei weitere Konsequenzen oder Abwege innerhalb des palästinischen Judentums dauernd vermieden. Einmal findet sich auch in der Lehre vom bösen Triebe nirgends eine deutliche Spur der Anschauung, daß die Sünde, der böse Trieb, mit dem leiblichen Dasein der Menschen an und für sich und notwendig verbunden sei. Der böse Trieb eignet nach der Gesamlauffassung nicht dem Leibe, sondern dem Herzen des Menschen. Er beruht im letzten Grunde nicht auf seiner natürlichen Anlage, sondern auf seiner ethischen Verkehrtheit. Es ist neuerdings übrigens treffend nachgewiesen, daß selbst in der späteren rabbinischen Theologie und deren Lehre vom guten und bösen Trieb nicht etwa der gute Trieb der Seele und der böse Trieb dem Leibe des Menschen eigne, vielmehr beide dem Ganzen des menschlichen Wesens angehören. — Wilhelm Bousset: Die Religion d. Judentums, 1906, S. 464/65.
2: Die Allgemeinheit der Sünde war dem Judentum selbstverständliche Gewißheit; vgl. Prov. 20, 9; Koh. 7, 20. Sie ergab sich zwar nicht aus der materiellen Natur des Menschen als solcher; die Anschauung, daß der Leib als materieller Teil des Menschen, als Sitz der Sinnlichkeit, die Seele beflecke, herabziehe und ihre Freiheit und Reinheit störe, ist nicht jüdisch, und wo sie im späteren Judentum erscheint, ist sie von außen eingedrungen. — Justus Köberle: Sünde u. Gnade, 1905, S. 345/46.
3: Auch dies ist antik, daß die Natur Israels als im ganzen gut empfunden wird und daß jede Spur der christlichen Anschauung, daß die menschliche Gesellschaft unter der Macht der Sünde steht und daß der einzelne, weil in den Zusammenhang der Menschheitsentwicklung hineingeboren, damit notwendig unter die Macht der Sünde gerät, völlig fehlt. — Bernhard Stade: Gesch. d. Volkes Israel I. 1887. S. 511.