Teil eines Werkes 
Teil 1 (1920) Die Grundlagen der jüdischen Ethik
Entstehung
Seite
71
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5: Jeder Mensch ist Herr seines Tuns und Lassens; wenn er sich aui den guten Weg begeben und ein Gerechter sein will, so steht es ihm frei, und wenn er sich auf den schlechten Weg begeben und ein Frevler sein will, so steht es ihm frei. Das ist der Sinn der biblischen Worte [1 M 3, 22]:Der Mensch ist jetzt wie einer von uns geworden, Gutes und Böses zu erkennen. Der Mensch ist das einzige Wesen in der Schöpfung und kein zweites gleicht ihm darin das von selbst und durch sein Erkennen und sein Denken das Gute und das Böse unterscheidet und alles tun kann, was es will; und niemand hindert ihn, das Gute oder das Böse zu tun. Laß dir nicht in den Sinn kommen das Geschwätz der Narren unter den Heiden und der Blöden unter den Israeliten, daß Gott über den Menschen vor seiner Geburt verhängt, daß er gerecht oder ungerecht handle. Dem ist nicht so; vielmehr vermag jeder Mensch ein Gerechter zu werden wie unser Lehrer Mose oder ein Frevler wie Jerobeam oder ein Weiser oder ein Tor oder barm­herzig oder grausam oder geizig oder freigebig. Und so verhält es sich mit allen Charaktereigenschaften. Niemand kann ihn zwingen, über ihn verhängen, ihn auf einen der beiden Wege ziehen, sondern er betritt aus sich heraus nach seiner Erkenntnis, welchen Weg er will .... Das ist ein sehr wichtiges Prinzip, das ist eine Grundsäule der Thora und der göttlichen Gebote. Maimonides: Hilchot teschuba (Rückkehr zu Gott) c. V, 13.

6: Aber wohl weiß ich und hierin stimmt unsre Lehre mit der griechischen Philosophie überein, wie es auch durch wahre Gründe erwiesen ist, daß alle Handlungen des Menschen seiner freien Wahl überlassen sind, daß niemand ihn zwingt und niemand außer ihm selbst ihn auf die Seite der Tugend oder des Lasters führt; sein Temperament kann ihm wohl, wie wir erklärt haben, eine Handlung leichter oder schwerer machen, keineswegs aber wird er zu Handlungen gezwungen oder davon abgehalten. Maimonides: Schemona perakim (Acht Abschnitte über Ethik), VIII.

7: Da es im Wesen des Menschen liegt, daß er nach seiner Wahl gut oder böse handelt, wie er will, muß man ihn auf den Weg des Guten hinleiten, ihm gebieten, ihn warnen, bestrafen und belohnen; all dies soll dazu dienen, daß er sich gewöhne, das Gute zu tun, bis er zu höherer sittlicher Einsicht gelangt, und sich von bösem Tun fern­halte, bis die ihm anhaftenden Schlacken abfallen. Er sage nicht, sie seien von der Art, daß sie sich nicht ändern können, denn jede