dem Fall Adams her eine solche Veränderung der ursprünglich gut geschaffenen Menschennatur anzunehmen, daß seither der Hang zur Sünde ihr anhafte. Diesen Sinn hat aber die Erzählung Gen. 3 selber nicht. — Karl Marti: Gesch. d. israelitischen Religion, 1900, S. 198.
9: Die Herrschaft des Bösen über den Menschen ist nach der sittlichreligiösen Lebensanschauung Israels keine absolute; vielmehr hängt es von der freien Selbslentscheidung des Menschen ab, ob er auf Jahves Gebot hören und in der Furcht vor ihm und im Gehorsam gegen seinen Willen das Böse verwerfen und das Gute erwählen will. Der Israelite hat daher ein lebendiges Bewußtsein seiner persönlichen Verantwortlichkeit für seine Handlungsweise, und jede Tatsünde kommt ihm als persönliche Verschuldung zum Bewußtsein, welcher Gottes Strafe droht. — Eduard Riehm: Alttest. Theol., 1889, S. 178.
10: Ein Mensch endlich, bei dem die Freiheit der ethischen Selbstbestimmung paralysiert ist, der nicht fähig ist, eine Handlung aus sich heraus zu beginnen, nicht fähig ist, eine Heldentat zu vollbringen, die Heiligung zu erlangen, — für einen solchen Menschen wird die Heiligkeit Gottes stets etwas Äußeres und Fremdes bleiben — er wird niemals „Gottes Freund“ sein. Daraus folgt, daß die wahre Religion, die wir beim israelischen Volke finden, die Entwickelung der freien menschlichen Persönlichkeit nicht nur nicht ausschließt, sondern daß die wahre Religion, im Gegenteil, das Selbstgefühl, das Selbstbewußtsein und den Tatendrang des Menschen fördert. — Wladimir Solowjoff: Judentum u. Christentum, 1911, S. 23.
11: Und gerade für das spätere Judentum ist die sittliche Selbständigkeit des Menschen ein Fundamentalgedanke, eine Grundvoraussetzung seines gesetzlichen Eifers und seiner Zukunftshoffnungen. — Emil Schürer: Gesch. d. jüd. Volkes im Zeitalter Jesu Christi, II, 1907, S. 461.
12: So stark aber hier der soziale Zusammenhang der Menschen und die daraus entspringenden Pflichten betont werden, ebensosehr legt der Prophet im folgenden den Nachdruck auf die individuelle sittliche Verantwortlichkeit des einzelnen: Ein jeder büßt seine Schuld (Ez. 18, 10—20). Dem heutzutage weitverbreiteten ethischen Irrtum, daß der Mensch auch in moralischer Beziehung das Produkt des auf ihn wirkenden sozialen Milieus sei, daß die
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