Lohn und Strafe
Die Lehre von der Willensfreiheit, auf der sich die Ethik des Judentums aufbaut, stattet den Menschen mit der sittlichen Kraft aus, sein Tun und Lassen zu bestimmen, die sündhaften Regungen zu überwinden und sich in der Gesinnung und durch die Tat zu heiligen. Aber sie legt ihm damit auch eine große Verantwortung auf. Auf diese Verantwortung gründet sich die Lehre von Lohn und Strafe im Judentum.
Die Vorstellung von den Folgen des Guten und Bösen hat sich im Judentum von naiver Hoffnung auf Belohnung und Furcht vor Strafe entwickelt bis zu dem höchsten sittlichen Bewußtsein: „Der Lohn der guten Tat ist die gute Tat und die Strafe der Sünde ist die Sünde.“ Die jüdischen Religionsphilosophen stimmen darin überein, daß die Verheißung von Lohn und die Androhung von Strafe im biblischen Schrifttum das Ziel verfolgen, das Volk nach seinem Auffassungsvermögen zur Befolgung der göttlichen Gebote, zu einem lauteren Lebenswandel zu erziehen (vgl. a. S. 88/89 Nr. 1). Dementsprechend wird zuerst als Lohn für das gottgefällige Tun irdisches Wohlergehn verheißen und als Strafe für die Übertretung der göttlichen Gebote irdische Heimsuchung angedroht (3. B. Mos. 26, 3 ff.; 5. B. Mos.
7, 9 f.; 11, 13 ff.; 28, 1 ff.). Aber auch diese Lehre von Lohn und Strafe betrifft nicht bloß das persönliche Schicksal des einzelnen, vielmehr wird nach ihr die von dem einzelnen und der Gemeinschaft geübte Gerechtigkeit mit dem Glück und Wohlergehn der ä Gesamtheit belohnt, wie das Böse an dem einzelnen und der Gesamtheit gestraft wird. Das in der Thora und den prophetischen Schriften verheißene Glück ist nicht ein bloß materielles und persönliches, es ; sind darin die idealen Güter der Gemeinschaft einbezogen: ungestörter Friede, öffentliche Wohlfahrt und gesellschaftliche Eintracht, an denen alle Anteil haben, und durch die allein der geistige Aufstieg des f Menschen möglich ist.
Die Propheten, die in der Zeit der Auflösung der jüdischen Staatsgemeinschaft gelebt haben, Jeremia und Ezechiel, haben in der ;
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