2: Die göttliche Gnade will nach jüdischem Begriff nicht den Sünder locken und ködern, sondern den Menschen überhaupt zur Besserung verpflichten; sie ist der Ausfluß der göttlichen Heiligkeit, die nicht verdammen, sondern läutern will. Derselbe Gott, der den Stachel der Verwundung in die schuldbewußte Seele bohrt, will auch mit ihm das Heilmittel darbieten. — Kaufmann Köhler: Grundr. e. syst. Theol. d. Judentums, 1910, S. 87.
3: Nur die helleren Geister erhoben sich zur Forderung einer höheren Sittlichkeit, die nicht mehr der äußeren Vergeltung bedarf, weil sie zur Stufe der Leben und Heil schaffenden göttlichen Gerechtigkeit sich erhoben hat. „Der Tugend Lohn ist die Tugend, der Bosheit Strafe die Bosheit selber.“ So lehrt der jüdische Meister Ben Asai, und damit ist Gerechtigkeit zum Kern aller Sittlichkeit geworden und in den Glutstrom der göttlichen Heiligkeit zurückgeflossen. — Kaufmann Köhler: Grundr. e. syst. Theol. d. Judentums, 1910, S. 94.
4: Den Gerechten treffen Schicksalsschläge, nicht weil er sie verdient, sondern weil Gott ihn als seinen Freund zu großem Proben der Tugend und des Seelenadels emporheben will. Auf diesem Standpunkt, den der fromme Dulder Hiob in der Bibel noch nicht erreicht hat, steht das rabbinische Judentum, wenn es die Leiden, von denen der Fromme heimgesucht wird, Prüfungen göttlicher Liebe nennt. Von diesem Gesichtspunkt aus erhält das Übel, sowohl das leibliche wie das sittliche Übel, seinen wahren Wert im göttlichen Haushalt. Das Böse ist da, um vom Guten überwunden zu werden. Gott in seiner Vatergüte will die Menschen, seine Kinder, für sein Reich sittlicher Vollkommenheit erziehen. — Kaufmann Köhler: Grundr. e. syst. Theol. 4 Judentums, 1910, S. 132/33.
P: Wenn die Rabbinen von Hölle und Paradies reden und die Strafen dort, die Genüsse hier grell schildern, so sind das nur Bilder für die Qual der Sünde und die Wonne der Tugend. Wahre Frömmigkeit dient Gott weder aus Furcht vor der Strafe noch aus Verlangen nach Lohn, wie Knechte ihrem Herrn dienen, sondern aus reiner Liebe zu Gott und der Wahrheit. Kaufmann Köhler: Grundr. e. syst. Theol. d. Judentums, 1910, S. 231.
6: Allein neben diesen Hinweisungen auf Lohn und Strafe waren die zahlreichen Aussprüche nicht bloß allgemein bekannt, sondern auch allgemein anerkannt, welche sich ausdrücklich auf die Abweisung
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