stehenden Völkern die Zuversicht zu einer von den Göttern überwachten sittlichen Weltordnung schließlich ausgelaufen war. — Justus Köberle: Sünde und Gnade, 1905, S. 278.
6: Anderseits verdient hervorgehoben zu werden, daß der Gedanke an einen von der Erfüllung des göttlichen Willens abgesonderten Lohn den Propheten durchaus fremd ist. Das Motiv zum Handeln ist nie der Gedanke an die Belohnung, sondern innerer Drang. Der Anstoß liegt nicht in der Außenwelt, sondern im letzten Grunde bei Gott. — Karl Marti: Religion d. A. T., 1906, S. 54.
7: Mit der immer fortschreitenden Verinnerlichung der Religion hängt es zusammen, daß der einzelne sein Verhältnis zu Jahve nicht mehr durch die Angehörigkeit zu seinem Volk vermittelt empfindet, daß es jetzt nicht sowohl „Jahve und das Volk“, sondern „Jahve und die Seele“ heißt. Und nun wird, was vorher vom Volk galt, einfach auf das Verhältnis Jahves zum einzelnen übertragen. Er wird von Jahve genau nach seinen Taten belohnt werden. Man soll nicht mehr sagen: „Unsere Väter haben Herlinge gegessen, davon wurden unsere Zähne stumpf“ (Jer. 31, 29); auch wird Jahve nicht mehr „um der Väter willen die Söhne heimsuchen“. Vielmehr wird jeder seine eigene Schuld tragen, d. h. er wird in diesem Leben den Lohn seiner eigenen Taten empfangen. — Joh. Meinhold: Gesch. d. jüd. Volkes, 1916, S. 24.
8. Daß die vorexilischen Propheten den Individualismus von der Vergeltung nicht ausschließen, sondern ihn bewußterweise zulassen, beweisen ihre wiederholten Aufforderungen zur Bekehrung. Diese richten sich notwendig an die einzelnen Glieder des Volkes; jeder einzelne soll seinen Wandel bessern (Jer. 18,11), jeder einzelne die Vorhaut seines Herzens entfernen (4,4). Die Bekehrung zu Jahve wünschen die Propheten wohl vom ganzen Volke, aber sie betrachten dieselbe doch als persönliche Angelegenheit jedes einzelnen und verheißen dem sich bekehrenden Teile Rettung. — Friedrich Nötscher: Die Gerechtigkeit Gottes b. d. vorexilischen Propheten, 1915, S. 69.
9: Dieses Postulat (der gerechten göttlichen Vergeltung) findet eine Stütze a) in der zuversichtlichen Erwartung, daß die Idee des Gottesstaates und des Gottesvolkes einst vollkommen realisiert werde; — b) in der Überzeugung des Bewußtseins, daß der Fromme in der Gemeinschaft mit seinem Gott ein alles weltliche Glück weit übertreffendes und alles äußerliche Unglück reichlich ersetzendes:
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