Teil eines Werkes 
Teil 1 (1920) Die Grundlagen der jüdischen Ethik
Entstehung
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13: Das Fliehen aus der Welt heraus lag dem Judentume bei den Leiden und schweren Prüfungen eigentlich sehr nahe, einsied­lerisches Brüten hätte natürlich erscheinen müssen, und dennoch wurde darin niemals ein edles Beginnen, frommes Tun erkannt. Im Gegenteile, die Absonderung von den Menschen wurde getadelt, ' das Wirken in der Menschheit, die Anerkennung der Güte Gottes in der Natur und in der Menschenwelt wurde zu allen Zeiten als der tiefste Kern, als die Grundlage alles sittlichen Wollens und Strebens anerkannt und gepriesen. Abraham Geiger: Das Judentum u. s. Geschichte I, 1865, S. 20.

14: Die Freude aber, welche die frommen Vorbereitungen, Verrich­tungen und Übungen bereiten, läßt Grübeleien, Gewissensbedenken und Schwermütigkeiten nicht aufkommen, wie solche gerade dort leicht entstehen, wo sich das religiöse Bedürfnis nicht in regel­mäßigen frommen Bräuchen und Enthaltsamkeiten entladen kann. Es sucht sich dann gleich unregulierten Flußläufen seine eigenen Wege und verliert die Fühlung mit dem Leben; Schwärmerei und Mystik gewinnen die Oberhand, und unter ihrem Schleier erscheint dem getrübten Auge das irdische Dasein als ein Jammertal, aus welchem nur die Weltflucht erretten kann, überall starren dem geängsteten Menschen die Sünde und ihr Anwalt, der Teufel, ent­gegen, selbst über den Zauber des Ehelebens erstrecken sie ihre dunklen Schatten, und in dem steten Kampfe mit ihnen nimmt der Mensch zu selbstquälerischen Übungen seine Zuflucht, welche das Fleisch abtöten und jedes Verlangen nach Genuß in ihm er­sticken sollen. M. Güdemann: Das Judentum i. s. Grundzügen,

1902, S. 83/84.

15: Worin aber besteht nach der Lehre des Judentums die Heiligkeit? Müssen wir, um uns diesem Ideal zu nähern, jede Regung unsres Sinnenlebens gewaltsam unterdrücken? Muß der Mensch, um seine sittliche Aufgabe nicht zu verfehlen, alle irdischen Nei­gungen und Triebe seines Herzens niederkämpfen, jeder Berührung mit der Außenwelt, als die Reinheit seiner Seele gefährdend, soweit wie möglich aus dem Wege gehen? Das ist die auf Paulus zurück­gehende Lehre, die im Widerspruch mit dem Einheitsgedanken des Judentums zwischen Natur und Sittlichkeit eine unüberbrück­bare Kluft setzt, die die Materie als absoluten Gegensatz des Geistes auffaßt und, in dem Fleische den Ausgangspunkt der Sünde erblickend, als Postulat der Religion die Abtötung des

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