Druckschrift 
Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
168
Einzelbild herunterladen

168 Kant und die jüdische Aufklärung

gen sollte. Da es zuvor keine Schulen für jüdische Kinder I

gab, in denen sie anderes als die religiösen Stoffe der Je- *

schiva lernen konnten, waren Schulgründungen ein Haupt­erfordernis für die Ausbildung jüdischer Kinder. Schul­gründungen wurden tatsächlich einer der Exportartikel der Berliner Haskala. Die jüdische Freischule in Berlin war der Prototyp der jüdischen Aufklärungs-Schulen.

Derselbe Lazarus Bendavid gehörte 1819/20 zu den Mitbegründern des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden in Berlin und schrieb Beiträge in der Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums (1822/23), darunter einen berühmten Aufsatz, in dem er darstellt, daß die Lehre vom Messias kein wesentlicher Bestandteil der jüdi­schen Religion sei und niemals gewesen sei. Damit gibt er einer Überzeugung Ausdruck, welche die ganze Haskala, die Kantianer und die Mendelssohnianer, einhellig teilte:

Das, was die Christen am Judentum am meisten interes­siert, der Messias, ist dem Judentum nicht wesentlich. An­ders gesagt: der Messias mag bei den Propheten, in der Kabbala und anderen Schriften Vorkommen, er war je­doch nie ein zentraler Gegenstand der jüdischen Religion und ist für die jüdische Aufklärung verzichtbar. «Kein Mensch», schreibt Bendavid, «verarge es daher dem Ju­den, wenn er seinen Messias darin findet, daß gute Für­sten ihn Ihren übrigen Bürgern gleich gestellt, und ihm die Hoffnung vergönnt haben, mit der vollen Erfüllung aller Bürgerpflichten, auch alle Bürgerrechte zu erlangen.» 263 Bendavid war unter den Mitbegründern der modernen Wissenschaft des Judentums freilich der einzige Kantianer, die jüngeren Mitglieder wie Eduard Gans, Moses Moser, Immanuel Wohlwill und Heinrich Heine waren Hegelia­ner. Die Zeit der Haskala war vorbei, die Juden in Preu­ßen waren mit dem Emanzipationsedikt von 1812 erst­mals bürgerlich gleichgestellt worden. Im Zentrum der neu entstehenden Wissenschaft des Judentums stand nicht mehr der von der Haskala vollzogene Aufbruch aus dem Ghetto, aus der innerjüdischen Isolation und aus der Enge