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Ausländskorrespondent und Arzt in Paris
Der plot von Nordaus Stück bedient sich, sine ira et Studio betrachtet, gleich mehrfach gängiger kleinbürgerlicher und antisemitischer Klischeevorstellungen. Da ist, als Hauptfigur, ein verarmter deutscher Adliger, der als Außenseiter den des Adels eigentlich unwürdigen Beruf des Börsenmaklers erfolgreich und ritterlich auszuüben versucht. Und da ist andererseits der >typische<, nur wegen seines Reichtums und seiner erschlichenen Beziehungen nobi- litierte Geldjude, der durch Bestechung und politische Verschwörung diesen ehrlichen deutschen Konkurrenten zu Fall bringt. Der deutsche Adlige muß sich daraufhin, um seine Ehre zu wahren, gar erschießen. Da ist drittens eine gescheiterte Liebesgeschichte zwischen jenem verarmten deutschen Adligen und einer neureich geadelten, exzentrischen jüdischen Erbin und femme fatale, die, wäre deren Vater nicht so geldgierig und intrigant, analog zu Bismarcks bekanntem Wort von den deutschen Hengsten und den jüdischen Stuten hätte ausgehen können. Und da ist viertens die (klein)bürgerliche Moral von der Geschieht’ in Person des bürgerlichen Ingenieurs und Naturwissenschaftlers, der sich von den undurchsichtigen Geldgeschäften der großen (Finanz-)Welt femhält, statt dessen durch ehrliche Arbeit wohlhabend wird und durch eine ehrenhafte Liebesheirat mit einer ruinierten deutschen Adligen moralisch wie gesellschaftlich das Erbe des verarmten und überlebten deutschen Adels antritt.
Nordau kann das alles, inklusive seiner Parteinahme für den nichtjüdischen deutschen Bürgerlichen und gegen den intriganten Geldjuden, naturgemäß nicht explizit durch seine Figuren sagen lassen. Es wird indessen durch den Kontext des Stücks und, in fast penetranter Weise, durch die Namen seiner Figuren suggeriert. Ein inzwischen als gesamtkulturelles Phänomen nicht nur des wilhelminischen Kaiserreichs erforschtes Verfahren der Kennzeichnung von Juden ist ihre Stigmatisierung durch Namensgebung . 17 Des Mittels der Namensgebung bedient sich hier der Bühnenautor Nordau, wenn er mit den >jüdischen< Namen Nathaniel von Lie- bert und Dinorah von Liebert das Klischee vom geadelten Geldjuden und seiner extravaganten Mischpoche evoziert und anreichert, während die >germanischen< Namen Rudolf von Altenberg und
17 Vgl. Dietz Bering, Der Name als Stigma, Stuttgart 1987.