De la castration de la femme
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Karl Hartig den ehrlichen, braven und ritterlichen Deutschen Vorbehalten bleiben.
Wir können uns heute eigentlich nur fragen, was verwunderlicher ist: daß das Stück trotz der erfolgsheischenden Bedienung von antisemitischen Klischees durch seinen Autor mit >deutschem< Namen Max Nordau kein Bühnenerfolg wurde oder daß Nordau es lange nach seiner Wendung zum Zionismus beim Verlag 1904 wieder auflegen ließ. Aber auch im Zionismus war die Opposition gegen das Klischee vom Geldjuden und die Option für das Ideal vom >ehrlichen< jüdischen Ingenieur, Arbeiter und Bauern über viele Jahrzehnte hin ja durchaus kurrent.
De la castration de la femme
Am 19. Juli 1882 um 1 Uhr mittags verteidigt Nordau in einem Rigo- rosum erfolgreich seine französisch verfaßte medizinische Dissertation De la castration de la femme. In der Promotionskommission der medizinischen Fakultät sitzen die Professoren Vulpian, Remy und Budin; den Vorsitz hat Charcot, der als Doktorvater die Arbeit betreut hatte und dessen Forschungen, aber auch dessen Ruf diese Dissertation stark verpflichtet ist.
Allein das Faktum, daß Charcot seinem Rigorosum vorsaß, war eine Auszeichnung für Nordau, den jungen ungarischen Arzt, der nur einer von Dutzenden Hospitanten und Assistenten bei Charcot war. Jean-Martin Charcot (1825-1893) stand in diesen Jahren auf dem Zenit seines Ruhms: Er war der größte Neurologe seiner Zeit, Patienten aus aller Welt kamen zu ihm in die Behandlung. Er war Leibarzt gekrönter Häupter, darunter des Zaren, und galt als »Napoleon der Neurosen« mit eben dessen autoritärem Herrscher-Gebaren.
Zu Charcots berühmten Vorlesungen am Freitagmorgen strömten Hunderte von Studenten, Schriftstellern und Ärzten aus ganz Paris. Charcot war ä la mode. Die Anamnese neuer Patienten in Gegenwart von vielen Studenten und Kollegen in seiner Abteilung in der Salpetriere am Dienstagmorgen, die der Demonstration seiner diagnostischen Fähigkeiten diente, war ebenso ein öffentliches