Liebe und Kabale
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Welt der Wissenschaft, er ist Mittler zwischen der Welt der Literatur und der der Politik. Als Arzt, politischer Journalist und Schriftsteller in eins hat er Zugang zu all diesen Welten, er kennt ihr Personal, ihren Stil und ihre Lebensweise. Er macht die Protagonisten dieser verschiedenen Welten miteinander bekannt. Und zwar nicht die schon Arrivierten, die in den Salons wie dem von Charcot ohnehin verkehren, sondern die Neuankömmlinge.
In Paris ist er einerseits der Wahl-Pariser, den die aus der gesamten europäischen >Provinz< in Paris, in der wichtigsten Kultur-Metropole des 19. Jahrhunderts, neu ankommenden Künstler, Wissenschaftler und Journalisten aufsuchen - hießen sie nun Björnstjerne Björnson, Sigmund Freud oder Theodor Herzl. Andererseits ist er der schon mit Tout-Paris bekannte, polyglotte ungarische Jude, der den Parisern klarmacht, welchen bedeutenden oder vielversprechenden Ausländer sie gerade vor sich haben. Nordau ist, und er weiß dies und mag diese Rolle, kultureller Mittler zwischen Paris und Berlin, Skandinavien und Paris, Pest und London, Madrid und Wien. Selbst im Zionismus wird er genau diese Mittlerrolle wieder einnehmen.
Bei alledem lebt er gesellschaftlich zwischen den Welten, sozial gehört er in Wirklichkeit keiner dieser Welten an, zwischen denen er vermittelt. Vom Lebenszuschnitt her wäre er gern ein anerkannter bürgerlicher Künstler gewesen wie Berthold Auerbach, der 1882 stirbt, oder wie Theodor Fontane, der bis 1889 Theaterkritiker der Vossischen Zeitung ist, also ein direkter Kollege und Bekannter Nordaus beim selben Blatt. 23 Dazu fehlten jedoch Anerkennung und Einkommen ebenso wie ein sicherer Wohnsitz. In Paris war Nordau zeitlebens nur geduldeter Ausländer und Ausländskorrespondent einer führenden Tageszeitung einer potentiellen Feindnation. Das war ihm sehr deutlich bewußt und hat sich an seinem Schicksal bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs deutlich bewiesen. Als Ausländskorrespondent lebte Nordau sozusagen auf Abruf und
25 Vgl. Hans Otto Horch, Fontane und das kranke Jahrhundert. Theodor Fontanes Beziehungen zu den Kulturkritikern Friedrich Nietzsche, Max Nordau und Paolo Mantegazza, in: Hans-Peter Bayerdörfer, Karl Otto Conrady und Helmut Schanze (Hg.), Literatur und Theater im Wilhelminischen Zeitalter, Tübin-