3. Der Neidkopf in der Heiligen-Geist-Straße
zu Berlin.
1. König Friedrich Wilhelm I., der während seiner Regierung sehr viel zur Erweiterung und Verschönerung von Berlin tat, fand ein großes Vergnügen darin, das Leben und Treiben einzelner Bürger im stillen zu beobachten. In einfacher Kleidung schritt er oft unerkannt durch die Straßen, warf einen prüfenden Blick in die Fabriken, trat nicht selten in die Werkstätte armer Handwerker, ließ sich mit diesen in eine Unterhaltung ein und ergötzte sich an den Antworten der arbeitsamen Bürger. Auf solchen Wanderungen war ihm schon mehrfach die Tätigkeit eines Goldschmieds ausgefallen, der in einem Hause in der Heiligen- Geist-Straße, das damals einer ärmlichen Hütte glich und in sehr baufälligem Zustande war, gar eifrig mit seiner Kunst sich beschäftigte. Seine Werlstätte war im untersten Stock, und da er an heißen Sommertagen bei offenen Fenstern zu arbeiten pflegte, hatte ihn der König, der eines Tages mit ganz besonders guter Laune in seine Stube trat, leicht beobachten können. Sämtliche Läden in der Straße waren schon geschlossen, denn die Zeit des Feierabends hatte längst begonnen; um so mehr mußte also die Tätigkeit des Goldschmiedes dem Könige auffallen. Einen Augenblick stutzte der fleißige Mann über den unerwarteten hohen Besuch. Doch da er die sonderbare Laune des Monarchen kannte, so faßte er sich bald und beantwortete mit vieler Dreistigkeit die Fragen des Königs, der sich nach allen seinen Umständen erkundigte. Mit jedem Worte schwand seine Schüchternheit mehr und mehr, und von des Königs freundlichen Mienen ermuntert, erzählte er offen, wie sehr die Armut ihn drücke und wie oft er Arbeit zurückweisen müsse, weil er aus Mangel an barem Gelde die nötigen Auslagen für Gold und Silber nicht bestreiten könne. Dem Könige gefiel die Offenheit des ehrlichen Mannes. Er bestellte bei ihm ein goldenes Service, zu dem ihm das nötige Metall aus der Schatzkammer geliefert werden sollte. (Dies goldene Service ist bis zum Jahre 1867 im Gebrauch des Königlichen Hauses gewesen.)
2. Der glückliche Goldschmied war nun noch fleißiger als zuvor. Rasch ging die Arbeit vonstatten. Sauber und geschmackvoll lieferte sie einen Beweis von der Kunstfertigkeit des Meisters.