Heft 
(1924) 2
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Daß die Leute, die hier begraben sind, Germanen waren, unterliegt keinem Zweifel, wenn wir auch keine bestimmte historische Kunde davon haben. Aehnliche Formen der Gefäße, der Beigaben und der Bestattung finden sich in Gegenden, die nach Ausweis der historischen Quellen damals von Germanen bewohnt waren. Es läßt sich noch näher bestimmen, daß die Bewohner des alten Kuhbier zu einer größeren Gruppe der damaligen Germanen gehörten, die heuteElbger­manen" genannt werden. Im Strombereich der Elbe, von der Quelle fort bis zur Mündung wohnten die Stämme dieser Gruppe. Es handelt sich nm die Markomannen, Hermunduren, Semnonen und Langobarden, die mehr oder weniger zu der großen Völkerfamilie der Sueben gehören. Sie bewohnten Böhmen, Sachsen, Thüringen, Anhalt, das Land nördlich des Harzes bis an die Lüneburger Heide, die Altmark, das Havelland, die Prignitz, Mecklenburg und Ostholfiein. Sie hatten nach Ausweis ihrer Gräber eine ziemlich einheitliche Kultur. Auf ihren Friedhöfen finden sich immer wieder die flachen Schalen­urnen wie Taf. I 49 und II 6, der einfache unverzierte Topf wie Taf. II 8 und ähnliche Fibeln wie in Kuhbier. Von diesen Friedhöfen der Elbgermanen ist Kuhbier ein charakteristisches Beispiel. Außer ihm sind noch bei Dahlhausen und Kyritz Friedhöfe derselben Zeit und desselben Stammes in der Prignitz ausgegraben. Sie alle beweisen, daß diese Landschaft noch im 3. und 4. Jahr­hundert n. Christi, also zu Beginn der großen germanischen Völkerwanderung, von einem Stamm der elbgermanischen Gruppe bewohnt war und erlangen so für die Heimatgeschichte den Wert einer historischen Quelle für eine Zeit, die die geschriebene Geschichte noch völlig im Dunkeln läßt.

Und noch mehr erzählen uns die Funde von dem alten Friedhof. Wir sahen schon obev, daß eine Reihe der Fibelformen aus der Fibel mit umge- geschlagenem Fuße entstanden ist, die aus Südrußland stammt. Die Verzierung mit bunten Steinen und Glasstücken hat dasselbe Herkunftsgebiet. Die Ueber- tragung dieser Form- und Zierelemente von Südosten und Nordwesten gehört einer großen, umfassenden Kulturbewegung an, die seit dem 3. Jahrhundert n. Ehr. von Südrußland nach Nordwesten wirkt. Man nennt diese Bewegung den gotischen Kulturstrom", weil sie durch die Goten vermittelt ist, die gegen Ende des 2. Jahrhunderts aus ihrer Heimat in Ostpreußen nach Südrußland gezogen waren. Hier hatten sie sich niedergelassen und waren in enge Berührung mit der skythisch-griechischen Mischkultur gekommen, die am Nordrande des Schwarzen Meeres herrschte. Von dieser Kultur empfingen sie manche Anregung und hier übernahmen die gotischen Metallhandwerker die Fibel mit umgeschlagenem Fuß und die Kunst, mit Steinen große Flächen farbig zu schmücken. Trotzdem sie ihre alte Heimat verlassen hatten, unterhielten sie doch rege Beziehungen zu den Stammesgenossen, die dort geblieben waren und zu verwandten Stämmen des germanischen Nordens. Durch diese Beziehungen kamen die Formen und Zier­arten, die die Goten in Südrußland kennen gelernt und sich zu eigen gemacht hatten, auch nach Norddeutschland und wirkten hier vorbildlich. Die alten Fibel- und Schmuckformen kamen außer Gebrauch, die gotischen Formen wurden Mode. Das Gräberfeld von Knhbier ist mit seinen Fibeln ein Beweis dafür, daß auch die Bewohner der Prignitz au den Neuerungen teilhatten, die der gotische Kulturstrom aus dem Südosten brachte. Die Handwerker, die für sie arbeiteten, nahmen die auswärtigen Anregungen lind Müdeströmungen willig auf, doch bildeten sie sie zu Formen um, die sich in Südrußland nicht finden. Und wir gewinnen, trotzdem wir für einzelne Formen fremde Wurzeln auf­decken, doch den Eindruck, daß ein heimisches Handwerk mit selbständigem Gepräge arbeitet. So gewährt uns eine sorgfältige Untersuchung der Altertümer eine ungeahnte Aussicht auf Kulturströmuugen und -beziehungen in alter Zeit, von denen die geschriebene Geschichte nichts zu erzählen weiß.

Das germanische Altertum war längere Zeit verrufen als eine Periode der Unkultur und der Barbarei. Daß es in Wirklichkeit nicht so war, sondern es damals schon eine bestimmte Gesittung und Kultur gegeben hat, die große Werte in sich barg, und die Grundlage für die heutige Kultur unseres Volkes bildet,