wurde und Johann Kepler mit Mühe die eigene Mutter vom Feuertod retten mußte. Im Frühdämmern dieser Ereignisse wuchs Sidonie von Borcke „auf Stramehl" auf, ohne daß man aber ihre frühe Lebenszeit, selbst mit dem Forschertalent eines Barthold, hätte aufklären können. Man weiß, daß sie schön war, und vermutete, daß sie reich war und nach der Hand eines Fürsten zielte, was bei ihrer Abkunft aus der „ältesten Familie Pommerns“ nicht allzu abwegig war. Am Hof zu Wolgast soll sie dem melancholischen Lautenspieler Herzog Ernst Ludwig ein Eheversprechen abgeschmeichelt haben, worüber sich aber in den Akten „keine Spur“ findet. Die Lehnsgüter ihres Vaters gingen nach dessen Tod an ihren Bruder Otto, Sidonie blieben „zum jungfräulichen Rechte“ einige Bauernhöfe in Zachow. Schreiben konnte sie nur ihren Namen Czidonia Borcken, hatte keine Bildungsprätension und wechselte die Wohnstätten und Eheverlöbnisse. Einen eifrigen Hasser harte sie im Klosterprovisor Joachim von Wedel, der den Teufelsspuk sichtbarlich an ihr vorgefunden haben wollte und 1610 starb. Unter „geheimnißvollen Umständen“ starb auch Einst Ludwig. Mit 57 Jahren kam die noch unentwegt heiratslustige Sidonie (Neujahr 1604) in das Stift Marienfließ - der Name war für Fontane hoch geeignet -, wo sie sich zur Unterpriorin unter Margaretha Petersdorf vorzuklügeln wußte. Aber ihre mächtigen Flüche taten schon nach einem Jahr neben mancherlei Ränken und Aufsässigkeit den stillen Klostermauern Unrecht an, und der Klosterhauptmann Johann von Hechthausen wetterte und schrie von einem „Klosterteufel“ und „unruhigen Mensch“ und „einer Schlange“. Commissiones kamen und gingen, und mit 60 Jahren hieb Sidonie noch das mächtige Vorlegeschloß vom Klostertor, um ungehindert ein- und ausfahren zu können. Der Klosterhauptmann starb, die Priorin auch, der Klosterprovisor hatte sein letztes Glockengeläut hinter sich. Sidonias Vetter Jost wurde Provisor, Eggert Sparling Klosterhauptmann, Agnes Kleist Priorin, - das Gewitter zog sich zusammen.. Ihr Neffe Otto wollte ihr listig die Höfe zu Zachow abnehmen. 1615 war der Prozeß. Es war zu argen Händeln gekommen. Und dicht bei Marienfließ starb plötzlich der Neffe im Oktober 1617, und Herzog Philipp, der ihr nicht genug geholfen hatte, fiel in böse Krankheit und starb, bevor er seine Untersuchungen gegen sie schließen konnte. Jetzt ergriff Herzog Franz das Regiment und rief nach Christian Lüdicke, dem Advocatus fisci der Hofgerichte Stettin und Wolgast. Der fiskalische Schlag gegen „Czidonia Borcken, Otto Borcken seliger hinterlassener elender Weise“, wie sie Unterzeichnete, begann. Ihre Streiche und Quacksalbereien setzte sie un- gewarnt fort, und plötzlich starb Lüdicke, ihr Erzfeind, den sie unerlaubter Freundschaften mit der Klosterschwester Dorothea Stettin verdächtigt hatte. Es starb Matthias Winterfeld, der gegnerisch gesinnte Klosterpförtner, und Jost von Bork. Die „dicke Wolde Albrechts“, früher Tartarenkumpanin und ihre Helferin bei Quacksalberei und Schönheitskünsten, gab der gestrengen Befragung nach. Sidonias Neugier nach dem Vorleben ihrer Klosterschwestern war ihr sehr wenig von Vorteil. In der Oderburg gefangen gesetzt, konnte sie 74 Klagcartikel zur Kenntnis nehmen, die der öffentliche Ankläger am 2. Dezember 1619 dem Hofgericht mit großer Pünktlichkeit eingereicht hatte. (Barthold nennt die Artikel „ganz unglaublich unsinnig“). Ihr „Geist Chim“ spielte darin keine geringe Rolle, der Fiskal strebte dem blutigen Ende zu. Dr. Elias Pauli, ihr Verteidiger, suchte mit 132 Defen- sionales dem „erleuchteten Jahrhundert“ zu mißfallen. Die Rechtsverwahrung Sidonies vom 2. Mai 1620 war klug. Mit großer Kühnheit trat ihr zweiter Anwalt Eustachius Loth- mann auf, worauf er vom Fiskal als „unbeschliffener Supplicantenschmidt, Schreiber und Schneidersohn, welcher ehrlichen Leuten die Schuhe schmieren und wischen müßte, und junger Lecker, der verdient habe, in die Schule geführt und mit Ruthen gestrichen zu werden“ vorgenommen wurde. Sidonia leugnete am 28. Juli 1620 vor dem Gericht im großen Saal der Oderburg trotz Vorzeigung der Marterwerkzeuge alle Punkte der Anklage, insonderheit daß sie den Psalm 109 zum „Todtbeten“ verwendet habe. Vom Scharfrichter entkleidet und auf die Leiter gebunden und mit Beinschrauben und spanischen Stiefeln traktiert, „bekannte“ die Achtzigjährige. Seltsam war (eine feine Feststellung Bartholds), daß sie, offenbar bei kurzer Rückkehr ihrer erstaunlichen „Kraft der Seele“, unbedeutende Punkte trotzdem leugnete, - womit die Originalakten enden. Die Sage nahm sich des Restes an. Sidonia soll das Gnadenangebot von Herzog Franz unter der Bedingung, daß
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