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Sonderheft 1, Zeitbilder: Zwei Fragmente von Theodor Fontane "Sidonie von Borcke" und "Storch von Adebar"
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Beginn dieses Jahres gelangten die Herren Kögel und Baur nach Herrmanns Sturz in den Evang. Oberkirchenrat. Am Ende des Jahres wird Kögel, nachdem D. Brückner sich in der Lage sah, auf dies Nebenamt zu resignieren, General-Superintendent der Kurmark. Die Ernennung dürfen wir nach einer Mitteilung der dem Herrn Stöcker nahestehenden N. Wcstf. V.-Z. binnen kurzem erwarten.

Daß wir den intolerantesten Parteiführer in der preußischen Landeskirche zu einem kir- chenregimentlichcn Amt überhaupt und ganz besonders zu dem eines evangelischen Gene­ralsuperintendenten, das einen pastor pastorum, aber nicht einen pontifex erfordert, für völlig ungeeignet halten, brauchen wir unseren Lesern nicht weitläufig auseinanderzusetzen. Hätten unsere obersten kirchlichen Behörden sich in den letzten Jahren energischer zur Wehr gesetzt gegen den gewalttätigen Geist einer unprotestantischen Hierarchie, so wären sie jetzt nicht tatsächlich machtlos. Bereits gehören fünf Generalsuperintendenten der Hof- predigerpartei an: Schultze, Möller, Wiesmann, Erdmann, Carus. Hervorragende Be­gabung, wie einige der älteren sie besitzen, scheint gegenwärtig nicht mehr nötig zu sein. Wenigstens debütierte der Letztgenannte und Zuletzternannte in der Generalsynode mit der Motivierung seines Agcnden-Antrages so überaus kläglich, daß wir die Provinzen Ost- und Westpreußen um ihren neuen Oberhirten nicht gerade beneiden konnten. Nun tritt das anerkannte Haupt der Herren, Hofprediger Kögel dazu und gleichzeitig verlautet, daß für Posen ein Gesinnungs- und Fraktionsgenosse von ihm, der salbungsvolle D. Geß aus Breslau, in Aussicht genommen sei und, wie »gläubige« Zeitungen versichern, die Zustim­mung des Kultusministers wie die Königliche Genehmigung mit Bestimmtheit erhalten werde. So hätten wir denn glücklich eine heilige Siebenzahl »positiver« Generalsuperinten­denten, die den Geist der Freiheit in Theologie und Kirche mit vereinten Kräften zu dämpfen suchen werden. Ein Tag der Gunst ist wie ein Tag der Ernte. Aber im Reiche des Geistes besteht nur die Frucht der Wahrheit. Darum verzagen wir nicht:

»Wir wollen trauen auf den höchsten Gott

Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.««

Für D. Kögel und die »Hofpredigerpartei« sind solche Angriffe eine Ehre und es würde eine Schmälerung dieser Ehre sein, wenn man auf den obigen Ausbruch einer ungezügelten Feindschaft durch Berichtigung und Widerlegung der darin enthaltenen Unwahrheiten und Verdrehungen näher cinginge.

Mehr als einmal ist den Geistlichen der Vorwurf gemacht worden, sie säßen in süßer Ruhe auf ihren Pfarren und glaubten genug getan zu haben, wenn sie gepredigt, Seelsorge geübt und ihre Kirchenbücher geführt hätten. Wir wollen hier nicht darauf eingehen, wie diese drei Stücke schon mehr Zeit erfordern, als sie in manchem anderen Berufe auf die Arbeit verwendet wird. Wir wollen auch nicht daran erinnern, daß jetzt mehr als ein Beamter für die Zivilstandsregister eines Bezirkes nötig ist, während der Pastor allein neben anderen Berufsarbeiten sein Kirchenbuch zu führen hat. Wir wollen nicht darauf zurückkommen, daß es eine Zeit in unserem Vaterlande gab, die des dreißigjährigen Krieges, da alle deutsche Kultur sich in das evangelische Pfarrhaus als ihr letztes Asyl flüchtete. Nur an einigen Bei­spielen wollen wir zeigen, wie ungerechtfertigt der Vorwurf ist, den man so oft hört, der Pastor, der Diener des Wortes Gottes, sei ein Feind menschlicher Wissenschaft, ein Herold der Verdummung, wolle die Theologie an die Stelle jeder Kunst, jeder Wissenschaft setzen. Wer in die Geschichte der letzten drei Jahrhunderte tiefer hincingesehen hat, der weiß cs, daß gerade unsere evangelischen Geistlichen, gerade die schlichten Landprediger, sich liebevoll in alle Gebiete menschlichen Wissens, menschlicher Kunst versenkt haben; fast überall finden wir die Namen evangelischer Geistlicher, fast überall haben sie sich ausge­zeichnet, auch außerhalb ihres eigentlichen Berufes, Diener am Wort zu sein. Sie sind Vor­kämpfer und Träger der Kultur gewesen, von Anfang an bis auf den heutigen Tag. Wir wollen hier ganz absehen von den großen Theologen und theologischen Schriftstellern von Luther bis auf Hengstenberg und Harleß, von den geistlichen Liederdichtern, nicht spre­chen von Gerhardt, Rist, Neander und wie sie alle heißen, weil ihr Schreiben und Singen

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