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Das Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar bewahrt einen unveröffentlichten Brief Fontanes an Wilhelm Wolfsohn, für dessen Abdrucksgenehmigung wir unseren herzlichsten Dank sagen. Der Brief ist undatiert; er wurde am 7. August 1851 in Berlin geschrieben und war, wie aus dem erhalten gebliebenen Umschlag ersichtlich ist, nach Dessau, „per Adresse Gebrüder Katz" gerichtet. Seine Datierung ergibt sich aus dem im nachfolgenden Kommentar erläuterten Inhalt und aus zwei auf dem Umschlag zu entziffernden Stempelaufdrucken: „Berlin, Anhalter Bahnhof, 7. Aug.“ (der 7. August des Jahres 1851 fiel auf einen Donnerstag). Der Brief lautet:
Donnerstag Mittag
Mein lieber Wolfsohn.
In der Poststrafje ist Dein Pafi 1 nicht zu finden und in der Marienstrafje hat man ihn weder, noch hat man ihn daselbst je gehabt. So stehn die Affairen. Die Schimpfereien des Polizisten über Unordnung und Bummelei erspar' ich Dir füglich.
Du wirst also, falls Du noch nach Böhmen reist, Dein Heil in Dresden beim Ostreich(ischen) Gesandten versuchen müssen. Es ist fatal, aber nicht zu ändern. Dir ein frohes Wiedersehn all der Deinen 2 von ganzem Herzen wünschend und unter Grüßen für Dich und Gebr. Katz 2 wie immer Dein
Th. Fontane
Kommentar
1 Nach sechsjährigem Aufenthalt im Königreich Sachsen war Wolisohn, der — als Sohn deutscher Eltern in Rußland geboren — den Anschluß an ein deutschsprachiges Land suchte, nach wie vor russischer Staatsbürger und ohne gültigen Paß, wodurch er den Ausweisungsgesetzen Unterworten war. Am 31. Dezember 1850 hatte er in diesem Zusammenhang an Varnhagen von Ense geschrieben: „Denken Sie nur, ich figuriere noch immer als russischer Untertan, obgleich mein Paß alle Ursache hat, sich der Prüfung des Kundigen möglichst zu entziehen; was ich aber auch immer zu meiner Einbürgerung in Deutschland versuche, scheitert an der ersten Forderung, die überall gestellt wird, — daß ich einen Emigrationsschein beibringe. Rußland zählt bekanntlich schon den animus emigrandi zu Kapitalstaatsverbrechen, um so weniger ist eine Sanktion der Tatsache zu erlangen. Auf diese Weise bin ich verdammt, die historische Heimatlosigkeit meines Stammes polizeilich in jeder Fiber nachzufühlen. Und als Redakteur einer Zeitschrift, die ich nun einmal nicht anders als in liberalster Richtung tüh- r en kann, laute ich jeden Augenblick Gefahr, der heiligen Inquisition in die Hände zu geraten; ja, schon bei einem strengen Paßexamen würde ich bis zum Nimmerwiederaufstehen durchfallen... Könnten Sie mir vielleicht in diesem Labyrinth einen Faden an die Hand geben, mit dem meine bür- Qerliche Anknüpfung an Deutschland möglich wäre, auch ohne den russischen Emigrationsschein? Ich brauche wohl kaum mit Worten zu bezeich-
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