Heft 
(1970) 11
Seite
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Wilhelm Wolfsohn war in unsrem Herwegh-Klub der Tonangebende. Georg Günther, der um mehr als ein Dutzend Jahre älter, zugleich von allgemeinerer Bildung und größerer Welterfahrenheit war, wäre /zu dieser Führerrolle/ dazu der Berufenere gewesen, aber er war nicht Klubmitglied, blieb wohlweislich ein Draußenstehender und so fiel die Führerrolle dem Nächstbesten zu, /das war, literarisch angesehen, was unzweifelhaft Wolfsohn war. Er hatte /litera­turhistorische/ Literaturgeschichte zu seinem Studium gemacht 12 . Das allein schon /gab ihm ein/ würde zu(r] Besiegelung seines Übergewichts ausgereicht haben, es /standen/ stand ihm aber noch /andere Kräfte/ andres zu Gebote. Wir andern waren samt und sonders junge Leute von Durchschnittsallüren, Wolfsohn dagegen war ein Herr, ein feiner Herr. Hätte nicht sein kluger, interessanter Kopf die semi[tische]/ jüdische Deszendenz verraten/ bekundet, so würde man ihn für eine[n] junge[n] Abbe gehalten haben; er hatte ganz und gar die verbindlichen Formen eines solchen, dazu das überlegene Lächeln und vor allem die Handbewegungen. /Daß das Gros unsres meist aus armen Thüringern 13 sich zusammensetzenden Klubs diese Manieren vermissen ließ, war selbstverständlich, aber auch/ Es ließ sich an ihm die Kulturüberlegenheit der Juden ganz wundervoll nachweisen. Er war in Brody geboren 14 und nach Odessa hin übersiedelt, wo die Eltern, durch Vermögensverluste bald in eine sorgenvolle Lage gerieten; aber seine Knabenjahre hatten noch die guten Zeiten der Familie gesehen, und diese Zeiten, in denen man repräsentiert und eine hohe Gastlichkeit /in denen seine Eltern ein Haus gemacht und eine reiche Gastlichkeit/' geübt hatten, /und diese Tage voll Repräsentation/ hatten ausgereicht, ihm jene Formen feiner Sitte zu geben, wodurch er sich über uns alle erhob. Ich würde seine Superiorität im Hinblick auf das Gros d'Armee unsres Clubs, das sich aus armen Thüringern zusammensetzte, /würde dies, wenn es sich dabei bloß um unsre Thüringer, die das Gros d'Armee bildeten, gehandelt hätte,/ hier gar nicht erst hervorheben, aber auch Schauenburg und Kriege, die beide sehr guten Häusern entstammten 15 und auch so wirkten, blieben doch auch hinter unsrem /semitischen/ abbehaften Führer zurück. Das Semitische, vielleicht kann man ganz allgemein sagen, das Orientalische bei Wolfsohn durch frühere glänzende, später dann freilich ins Gegenteil sich ver­kehrende Lebensverhältnisse seiner Odessaner Eltern unterstützt hat in Sprache, Sitte, Form einen natürlichen Vorsprung vor dem Germanischen. Erst auf einer gewissen gesellschaftlichen Höhe wird das Germanische wieder sieg­reich /aber auch da noch mit Einschränkung/ und dann sogar sehr mit Aus­nahme der Damenwelt. Die jüdische Damenwelt en masse soll hier, um mich milde auszudrücken, nicht verherrlicht werden, aber die feine jüdische Damen­haft in ihren glänzendsten Einzelexemplaren wird von der christlichen Aristokratin nur sehr selten erreicht. /Ähnlich liegt es auf/ Auf dem Schön­heitsgebiet liegt es ähnlich. Es gibt, bei sonst gleichen Zahlen, mehr hübsche Jüdinnen als Christinnen (wenigstens hier zu Lande), wenn eine Christin aber schön ist, ist sie schöner.

Wolfsohn, als ich ihn kennenlemte, war schon /halb/ trotz seiner jungen Jahre f° gut wie verlobt und zwar mit der Tochter eines ehrsamen Tischlermeisters, in dessen Wohnung er Unterkunft gefunden hatte /Hause seine Wohnung gelegen war/. Die Sage ging, daß eine schwere Krankheit, in der er besonders liebevoll gepflegt wurde /besonders liebevolle Pflege/ dies Wunder bewirkt

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