Heft 
(1970) 11
Seite
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Fontane nahm mit seiner Kritik an den totalen Restaurierungen seiner Zeit Gedanken vorweg, die erst in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts allgemeine Anerkennung fanden, im ausgehenden 19. Jahrhundert jedoch nur von einem relativ kleinen Kreis bedeutender Wissenschaftler und Künstler vertreten wurden. Darunter der englische Kunstwissenschaftler John Ruskin 1 -, der italienische Architekt und Kunsthistoriker Camillo Boito* 3 , der französische Geschichtsschreiber Anatole Leroy-Beaulieu 1 '', der deutsche Kunsthistoriker Georg Dehio 15 , der Bildhauer Auguste Rodin 16 und der Dichter Anatole France, der in seinem RomanLe lys rouge' (1894) 17 ähnliche Gedanken wie Fontane äußerte.

Hatte die Liebe zur Geschichte Theodor Fontane zu den Denkmalen geführt, so war doch die Liebe zur Kunst stets dabei.

Es verlohnt sich, tausend Meilen zu reisen, um dies eine Stunde zu sehn", 18 schrieb er 1874 in einem Brief über den Markusplatz in Venedig. Tief beein­druckte ihn die erste Begegnung mit dem antiken Rom. Fontanes Kunst­auffassung war ganz unkonventionell, er verbarg seine Meinung auch dann nicht, wenn er Gefahr lief, dadurch bei der Mehrheit in Mißkredit zu geraten. In seiner SchriftAus den Tagen der Okkupation" (1872) findet sich eine Passage über die Kathedrale in Reims, die geeignet ist, das zu belegen. Es gehörte damals schon einiger Mut dazu zu bekennen, daß man die Begeiste­rung für das Innere dieses Bauwerkes, das als eines der höchsten Ideale galt, nicht teilen könne.Die Kirche ist kahl, Bilder und Denkmäler fehlen, das wenige, was davon da ist, berührt nicht die wirklich großen Momente im Leben des Landes oder dieser Stadt" 19 schrieb Fontane, wohl wissend, daß er mit seiner Meinung im Widerspruch zu den Autoritäten seiner Zeit stand. Diese Äußerung verweist zugleich mit aller Deutlichkeit darauf, wie eng bei der Beurteilung der Denkmale Fontanes künstlerisches Interesse mit seinem historischen verbunden war. Denkmale, die an historischen Zeugnissen und Überlieferungen arm waren, konnten ihn auch künstlerisch nicht recht befrie­digen. Hier ist wohl auch der eigentliche Grund für die Einschränkungen zu suchen, die er hinsichtlich der Wirkung der Ruine des Klosters Chorin machte; er vermißte dieFührerschaft von Sage und Geschichte".'- 10 Seine ungeteilte Be­wunderung hingegen galt der Schönheit der Kathedrale von Amiens. 71

Fontanes Künstlerisches Feingefühl ließ ihn bei der Beurteilung von Werken der Kunst und des Kunsthandwerkes die Qualitätsunterschiede zwischen Original und Nachbildung empfinden. Die wenigsten hatten in jener Blütezeit des Ekklektizismus Sinn dafür. Nicht selten hat er sich über protzige und geschmacklose Villen Neureicher, oft ein sonderbares Gemisch aus verschie­denen historischen Stilen, mit feinem Humor lustig gemacht. In seiner auto­biographischen SchriftMeine Kinderjahre" (1894) berichtet er davon, wie er als Kind die schönen Empiremöbel im Hause des Kommerzienrates Krause in Swinemünde mit der äußerlich ähnlichen, wohl aber wenig wertvollen Aus­stattung im elterlichen Haus verglich und dabei bereits den Wertunterschied empfand; die Möbel seiner Eltern erschienen ihm dagegenhöchst spieß­bürgerlich". 22

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