Heft 
(1971) 12
Seite
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Zwei Stunden später tranken wir Rüdesheimer in einer Zeltlaube am Rhein; den Rhein unmittelbar vor uns, drüben Bingen, dazu das male­rische Oertchen selbst, Thürme links und rechts und neben uns in der Laube drei katholische Geistliche in muntrem Gespräch. Es fehlte eben nur der rechte Genosse; der Brudeur Breslauer langte nicht zu.

Um 5 waren wir wieder in Bingen, wohin uns ein kostbarer Kerl, ein Schiffer aus Rüdesheim, in seinem Boote übergesetzt hatte. Seine Betrach­tungen über die Rheinhessen drüben in Bingen, so wie über die Asmanns- häuser, die er ganz vom Standpunkt des stolzen Rüdesheimers aus beurtheilte, waren höchst ergötzlich. Er sah die Welt als einen Weinberg an, auf dem Rüdesheim so ziemlich der beste Fleck, Rheinhessen am andern Ufer aber eine Art Schrindstelle sei.

Die Fahrt von Bingen nach Mainz entzückend; nach meinem Geschmack ebenso schön wie die Rheinfahrt zwischen den Felsen. Die Fernsichten, die Verschiebungen und Beleuchtungen, die Abstufungen vom Vorder­grund, zwei, drei Mittelgründen und Hintergrund sehr schön. Bibe- rich 13 mit seinem Schloß und seiner neuen Kaserne sehr stattlich; endlich steigt dasgoldene Mainz im Glanz der untergehenden Sonne auf.

Es macht durchaus einen großstädtischen Eindruck. Wir nehmen Quartier imRheinischen Hof. Dieser zählt schon zu den größten Hotels; wir hatten Nr. 95, in einer Mansarde mit schönem Blick über den Rhein. Nachdem wir unsern Thee genommen, machten wir einen Gang durch die Stadt: Gutenbergs Denkmal, mittelalterlicher Brunnen (die Mittel­säule aus der das Wasser quillt, soll aus der Zeit Karls des Großen sein; s. Baedeker)' 1 ' 1 Schiller Statue' 15 auf demselben Platz, auf dem der Brunnen ist. Dann ins Cafe de Paris und ein Seidel getrunken. Todtmüde nach Haus und einen guten Schlaf gethan.

Sonnabend d. 2. September.

Gefrühstückt; Rechnung bezahlt, dann ausgeflogen. Erst die Gutenberg- Statue (von Thorwaldsen)' 16 bei Tage. Ein preußisches Regiment (das 32. Thüringer) ganz gerade mit klingendem Spiel vorüber, dann in den Dom. Aeußerlich hat man dem schönen alten Gebäude (romanisch) allerlei Roccocowerk' 1 ' angeflickt, doch ist es in seiner Gesamtwirkung nicht kleinlich und stört deshalb nicht. Im Innern imponirt der alte Bau außerordentlich. Er ist sehr reich an Bildwerken aller Art, sowohl an Malereien wie an Skulpturen. Das Denkmal das die Mainzer Frauen, wenn ich nicht irre, demFrauenlob' 18 gesetzt haben, konnten wir leider nicht sehn. Die entsprechende Kapelle wurde restaurirt und war mit Gerüstwerk völlig verbaut. Der Mainzer Dom gehört zu .den großen alten Kirchen, deren Restauration neuerdings in Angriff genommen worden ist und dem man, statt der nüchtern weißen Tünche, den alten Farben­reichthum (und vielleicht mehr als er jemals hatte) wiedergegeben hat' 19 - Die Wirkung dieser Pracht- und Farbenfülle ist außerordentlich. Man sagt sichja, das ist das goldene Mainz. Zunächst das Mittelschiff. Alles was vorspringt, die großen Rundbögen an der Decke, die Gewölbe- Ribben, der Untergrund des einen fertigen Chors (es ist eine Doppel­kirche) alles ist reich vergoldet, während die Gewölbe-Kappen blau

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