er ,hatte nur wenig gesellschaftliche Verbindungen, und seine Mittellosigkeit beschränkte ihn auch in London und bei seinen kleinen Ausflügen* 12 , und sein Leben war deshalb, was ,er aus eigener Beobachtung beschreiben konnte, ... das Leben der Mittelklasse, und auch dies überwiegend nur nach der öffentlichen, nicht nach der privaten Seite hin* 13 . John S. Andrews resümiert aus der englischen Rezension des ,New Quar- terly Review* von ,Ein Sommer in London* (1852): ,His [Fontanes] main fault was that he was not a true (English)gentleman* 1 ''.
Fontane griff also eine Gesellschaft an, die er zwar von außen beobachten, zu der er sich jedoch keinen Eintritt verschaffen konnte, eine Erfahrung, die vom Dichter als schmerzlich empfunden wurde, wie sich mehrmals aus seinen Briefen ergibt. Als sein adliger Freund, Bernhard von Lepel, ihm Empfehlungsbriefe zuschickte, lehnt Fontane die Verwendung solcher Briefe ab. da ihm die Mittel fehlten, sich für derartige Anlässe den notwendigen Frack zu kaufen und schreibt: ,Das Kostüm der Neger, trotzdem es dem gesellschaftlichen Schwarz entspricht, kann vorläufig noch nicht eingeführt werden und der arme, schuldengequälte schneiderzerfallene Mensch muß nach andren Rettungsmitteln suchen. Es giebt kein andres als freiwillige Exclusion aus der Gesellschaft, als Selbstverbannung* l3 , schrieb er an Lepel zurück, und in einem Brief an Emilie vom 2. August 1856 beklagt er seine Armut: ,... anstatt hier wie ein Gentleman leben zu können (was ich müßte, wenn ich meine Aufgabe in Wahrheit erfüllen wollte), leb’ ich wie ein armer deutscher Literat, mit klumpsigen Stiefeln, altmodischen, etwas abgeschabtem Frack und gar keinen oder schmutzigen Handschuhen* 10 , was ihm sogar nicht erlaubt, wie er im Brief vom 1. November 1856 schreibt, ,in die Clubs* zu gehen 11 . Diese ,Exclusion aus der Gesellschaft*, die, wie Fontane zugibt, auch die Ausübung seines Berufes beeinträchtigte, hielt bis spät in seinen letzten Aufenthalt in London an. Am 18. Februar 1858 erfahren wir sogar aus einem Brief Emilies an Henriette von Merckel: ,... es kommt aber noch mehr dazu was uns einen Umgang mit einigermaßen uns gleichstehenden englischen Familien nicht wünschen läßt. Wir leben hier, nach englischen Ansichten, in ganz ärmlichen Verhältnissen* 18 . Es entsprach also der Wirklichkeit, was Nürnberger über die Lage Fontanes schreibt: ,Er hatte weder Rang noch gesellschaftliche Stellung* 1!) . Trotzdem war es ein Teil seiner Aufgabe als England-Korrespondent, über die englische Gesellschaft zu berichten.
Infolgedessen läßt sich die Frage, inwiefern Fontane selbst als Beobachter ausreichend im Bilde und deshalb fähig war, über die englische Gesellschaft zu berichten, noch dringlicher stellen. Und wenn er tatsächlich nicht im Bilde war, ob dies nicht den Ton seiner Kritik habe beeinflussen können, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, wo er einen Engländer gesellschaftlich kennenlernte, der als Mitglied der englischen Gesellschaft gelten konnte.
Wenn wir die englischen Freunde und Bekannten Fontanes in Betracht -flehen, dann können wir Emilies bereits zitierten Brief vom 18. Februar nur zustimmen. Allerdings muß die Freundschaft zu James Morris eine
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