Heft 
(1971) 12
Seite
263
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Beide Familien wohnten in derselben Straße, St. Augustine Road, im Londoner Stadtbezirk Camden Town, die Meringtons Nr. 27 und die Fontanes Nr. 52. Und am Ende der ersten Woche, Juli 1858, erfahren wir von einem Brief, den Fontane an die Meringtons schrieb, der bald eine Einladung von dieser Familie auslöste. Fontane nahm die Einladung zum Diner auch an, fand die englische Familie recht freundlich und wurde danach zum regelmäßigen Gast bei der Merington-Familie zum Sonnabend-Diner. Außerdem hat die Merington-Familie mit Fontane während der Woche korrespondiert oder Emilie Fontane die Tochter der Familie, Martha, auf einem Spaziergang im botanischen Garten begleitet. Die Freundschaft zwischen Fontane und den Meringtons wurde immer enger, und als Fontane am Anfang des nächsten Jahres, am 15. Januar 1859, England zum letzten Mal verließ, blieb seine Frau, Emilie, bis zu ihrer Abreise am 5. Februar 1859, wie aus den Briefen hervorgeht, bei der Merington-Familie. Danach blieb der älteste Sohn Fontanes, George, in der Obhut Mrs. Meringtons*. Überdies nahm Emilie anschließend Martha Merington mit nach Berlin und, wie Herbert Knorr schreibt, war die Anwesenheit Miß Marthas ,überhaupt das zentrale Familien­ereignis des Jahres 31 , über die Fontane sich mehrmals lobend ausdrückt. Am 20. September 1859 fragt Fontane seine Mutter in einem Brief: ,Wie gefällt Dir Miss Martha? Nicht wahr, sie hat ein feines, liebenswürdiges Wesen. Nicht ,fein in jenem Salon-Sinne, wo es auf Taille und knixen und feixen ankommt, sondern fein in Herz und Gemüth 32 . Eigentlich der Typ, den gerade Fontane als Mensch und Gesellschaftskritiker par excellence besonders schätzen würde, nicht ,fein im pseudo-gesellächaft- lichen Sinne, sondern .fein in Herz und GemütlT. Und fünf Wochen später, am 26. Oktober 1859 bis dahin ist Miß Martha fast neun Monate zu Gast bei den Fontanes gewesen, wiederholt Fontane seine gute Meinung über die Engländerin gegenüber seiner Mutter: ,Miß Martha ist still-freundlich wie immer, in nichts eine Last und in vielem eine Hülfe und ein Segen 33 . Martha Merington muß wirklich etwas Besonderes an sich gehabt haben, denn Fontane war nicht gerade unkritisch den Frauen gegenüber und erst recht nicht den englischen Frauen 31 . Später wurde Martha Merington, wie wir in den Briefen Emilies erfahren,

,Vorsteherin von verschiedenen Armen-Anstalten und läuft und fährt alle Tage, um die Armen zu besuchen 33 .

Die Merington-Familie scheint überhaupt etwas Besonderes gewesen zu sein, eigentlich ein gesellschaftliches Paradoxon: Richard Whiskin Mering­ton (18071874) soll mütterlicherseits von adliger, ja sogar von könig­licher Abstammung gewesen sein* und seine Familie hat sich in den Kreisen des höchsten Geistes bewegt 37 . Durch Erbstreitigkeiten aber mußte er, wie sein Vater vor ihm, von Jugend an sein tägliches Brot selbst verdienen und einem alltäglichen Beruf, zuerst im Geschäft seines Vaters als Leinentuchhändler (während dieser Zeit studierte er Fremd­sprachen) und anschließend als Angestellter bei der Bank von England 38 . Seine Frau, Margaret, nöe Marguerite, geboren 1802 in Frankreich, war Tochter des zu seiner Zeit schon wohl bekannten, aber vom Establishment etwas siefmütterlich behandelten Fremdsprachenpädagogen, James Hamil-