und vor allem, daß Fontane tatsächlich niemanden aus der englischen Gesellschaft — einige unerfreuliche Ausnahmen ausgenommen — gut kannte; wir haben auch erkannt, daß dieser Zustand bis zur Hälfte seines letzten Jahres in England dauerte, bis er die Merington-Familie traf, von ihr bewirtet und zehn Jahre später, zu einem Wendepunkt in seiner beruflichen und dichterischen Entwicklung wesentlich unterstützt wurde. Die Meringtons waren die Personifikation der Menschlichkeit und konnten dadurch für Fontane manchmal als Mikrokosmos der englischen Gesellschaft gedient haben. Interessanterweise folgt gerade im bereits teils zitierten Brief vom 29. Januar 1878 an Mathilde von Rohr, in dem sich Fontane an den Spruch der alten Mrs. Merington erinnert, kurz danach eine Lobrede über die Engländer im Vergleich zu den Deutschen: ,An Gaben des Geistes sind wir ihnen ebenbürtig, an Allgemeinheit und Vielseitigkeit des Wissens übertreffen wir sie, aber an schöner, edler Gesinnung, an allem, was die Engländer ,Gentlemenschaft‘ nennen, stehen wir weit hinter ihnen zurück 1 ' 7 . Es folgt ein Vergleich zwischen deutschen und englischem Adel zugunsten des englischen, der im Kapitel ,Die regierenden Klassen 1 im Romanfragment ,Allerlei Glück 1 fast wörtlich vorkommt: ,Wenn ich Umschau halte, so begegne ich in der Oberschicht unseres Volkes, unter Adel, Beamten, Honoratioren, Künstlern und Gelehrten einer nur mäßigen Anständigkeit. Sie sind eng, geizig, neidisch, rechthaberisch, ohne Sinn für Form und Billigkeit, wollen nehmen und nicht geben, huldigen der Scheinehre als der wirklichen und entbehren in einem unglaublichem Grade der Hochherzigkeit, des Edelmuts und der Gabe zu verzeihn und Opfer zu bringen. Sie sind selbstsüchtig, hart, unliebenswürdig 1 ' 8 . Jetzt scheint Fontane bereit zu sein, die von ihm vorher angegriffene Scheinheiligkeit der Engländer zu verzeihen: ,... die Engländer haben das Gefühl von dem, was sich ziemt, was anständig ist, in einem wundervollen Grade ausgebildet. Natürlich läuft Heuchelei (cant) hohles, erbärmliches Wesen mit drunter, aber es bedeutet schon etwas, daß jeder wenigstens begierig ist, anständig zu scheinen ‘ 7U . Zum Schluß will Fontane sich bei Mathilde von Rohr für die Länge seiner ,Abhandlung, in die ich hineingeraten bin, ich weiß nicht wie 180 entschuldigen. Könnte der Grund für diesen Passus doch nicht der sein, daß ihm die Erinnerung an die alte Mrs. Merington das Positive an ihren Landsleuten hervorgerufen hat?
Wir können nicht beweisen, daß Fontanes Gesinnungswandel gegenüber England auf seine Freundschaft mit der Merington-Familie zurückzuführen ist. Jedoch bleibt die bestechende Menschlichkeit dieser Familie zweifellos symptomatisch dafür.
.Naturen wie die Ihrige bringen es äußerlich zu nichts 1 sagte die alte Mrs. Merington zu dem jungen Fontane damals, ein Spruch, an den der Dichter sich nach zwanzig Jahren noch erinnerte. Nur ging der Spruch in Wirklichkeit für Mrs. Merington selbst in Erfüllung. Am 12. November 1874 starb ihr Mann im Alter von 67 Jahren und hinterließ seiner Witwe Aktien, deren Wert plötzlich durch ein Kriegsgerücht erheblich vermindert wurde. Mrs. Merington, nun selbst über siebzig, mußte ihren alten Beruf als Lehrerin wieder aufnehmen. Sie lehrte interessanterweise mit
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