Auf dies Maß legt der Verfasser Fontane und sich selbst ständig fest. Von einem mittleren Maß geht die Darstellung aus, zu einem mittleren Maß führt sie in nahezu allen Einzelheiten hin. Das gilt für Fontanes Einstellung zum „poetischen“ Vater und zur „prosaischen“ Mutter bzw. zum „poetischen“ Swinemünde und zum „prosaischen“ Neuruppin ebenso wie für sein Verhältnis zur poetischen Revolution (1830) und zur prosaischen Ordnung. Die Frage ist nur, wie diese Gegensatzpaare in Fontanes Bewußtsein ideologisch und sozialpsychisch vermittelt sind. Genauer gefragt: Wie ist Fontane in das Bestehende integriert und worin geht er in Leben und Dichtung, in Vorstellung und Willensimpuls darüber hinaus? Diese Fragen werden eigentlich nicht beantwortet, weil es der Verfasser peinlich vermeidet, das Konstatierbare auf seine Vermittlungen hin zu befragen. Es wird sich zeigen, daß sein Befangenbleiben im Material und im „mittleren Maß“ theoretisch-methologische Ursachen hat, in denen sich eine bestimmte ideologische Haltung kundgibt.
Dessen ungeachtet gibt das Buch eine abgewogene und informationsreiche Darstellung über Fontanes Neigung, schon vor seiner „Abkehr vom freiheitlichen 1 “ die „preußischen“ Tugenden der Einfachheit, der Selbstlosigkeit, der Sparsamkeit, der Ordnung und einer aufrechten Vornehmheit, wie sie ihm zu „glänzenden Ausnahmen“ märkischer Junker und an exzeptionellen Figuren aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte begegnen, als nachahmenswert anzusehen, dabei aber gleichzeitig die sozusagen unpreußische Gegenwart gegenüber allen „Altpreußischen“ abzuwerten. Diese Gegenüberstellung von Neupreußischem und Altpreußischem verstärkt natürlich auch das schlechte Gewissen darüber, sich wenigstens vorübergehend für dreißig Silberlinge der Reaktion verkauft zu haben. Immerhin kann Fontane sein Gewissen durch einen deutlich hervortretenden Konservatismus ein wenig entlasten, d. h. durch einen Konservatismus, der politisch wenig profiliert ist, dafür aber um so stärker auf „Gesinnung“ pocht, also auf die bewußten altpreußischen Tugenden, die indessen bald die Neigung zeigen, sich aus ihren historischen Bindungen zu lösen und sich für die Forderungen des Tages und der Zukunft offen zu halten. Unter diesem Gesichtspunkt, der hier nochmals hervorgehoben sei, erschließen die Beziehungen, die der Autor zwischen dem „Wolsey“-Fragment und Figuren vom Schlage des Berndt yon Vitzewitz, des Generals Bamme und des alten Stechlin walten sieht, interessante Aspekte, zumal sich diese Beziehungen mit englischen Einflüssen und mit Bekenntnissen über den englischen Parlamentarismus verbinden lassen. Attwood kann jedenfalls deutlich machen, daß Fontane nicht zum engeren Kreis der reaktionären Kreuzzeitungsleute gehört hat. Wenngleich ihm Mut, Gewissens- und Gesinnungsfreiheit auch an einzelnen Mitarbeitern der Redaktion begegnet sind. Im Grunde verhält es s 'ch damit ähnlich wie mit seiner ästhetischen Vorliebe für den Adel. Fontane legt diese Sympathien keineswegs nur auf eine bestimmte »Menschenklasse“ fest, sondern er läßt den Adel als Gesinnungsqualität in allen Ständen gelten. Freilich hat er den nahezu untilgbaren Eindruck, daß sich die Gesinnungsqualitäten, um die es ihm geht, vorzugsweise bei ^ en „alten Familien“ zu vergegenständlichen scheinen, zumal er zu diesen
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