I
Gesinnungs Eigenschaften auch eine zweifellos idealisierte Patriarchalität zählt.
Fontanes Festhalten an Haltung und Gesinnung führt natürlich dazu, daß sich seine Kritik an Preußen und Preußentum im Laufe der Jahre verstärkt und differenziert. Dieser Differenzierungsprozeß wird im II. Hauptteil näher untersucht. Dabei stellt sich heraus, daß Fontane alles Altpreußische „aus der damaligen Zeit heraus“ beurteilt und keineswegs gesonnen ist, etwa die „martialische Herrlichkeit“ der Epoche des „Soldatenkönigs“ in der Gegenwart oder sogar für die eigene Person für erstrebenswert zu halten. Im „Stechlin“ läßt er den Pastor Lorenzen mit aller Deutlichkeit sagen, was er davon hält, „dem Niedersteigenden eine künstliche Hausse zu geben“. Entsprechend bewertet er die preußischen Monarchen, vor allem Wilhelm I., Friedrich Wilhelm III., Kaiser Friedrich III. und Wilhelm II. in erster Linie nach ihren menschlichen Gesinnungen und danach, inwieweit sie für ehrwürdig Altes oder nur für das schlechthin „ganz Alte“ eingetreten seien. Diese Bewertung offenbart sich auch an Fontanes Verhältnis zu Bismarck. Sie sei „positiv hinsichtlich der politischen Leistungen des Kanzlers und seiner Sprachgewalt, aber negativ gegenüber seinen menschlichen, insbesondere dem Mangel an »Edelmut 1 ...“ (198). Freilich bleiben die Grenzen oft fließend, ähnlich fließend wie in den Urteilen über den Adel, den er im allgemeinen für politisch überholt und schädlich hält, dem er aber in einzelnen seiner Exemplare eine ästhetische Vorliebe bewahrt, zumal dann, wenn sich zu ausgeprägten Charakteren ein Schuß frondierender Kritikfreude als Zeichen von innerer Freiheit gesellt.
Auch für Attwood gibt es bei Fontane keinen größeren Gegensatz als den zwischen Gesinnung und allem Bourgeoishaften. Die Belege dafür sind zahlreich, ebenso wie die über Fontanes Verhältnis zu den Juden, zu Pastoren und zur Kirche. Weniger überzeugend muten hingegen die Untersuchungen über den vierten Stand an. Man hat den Eindruck, Fontanes Verhältnis dazu werde ein wenig heruntergespielt. Es wird sich zeigen, daß dies kein Zufall ist.
Alle Studien zielen schließlich auf die Zustände Preußens im Zweiten Reich, d. h. auf Fontanes Anerkennung für zivilisatorische Fortschritte und großzügiger gewordene Lebensverhältnisse, die ihn freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß etwas faul im Staate sei, daß soziales Unbehagen, Äußerlichkeiten und Flachheiten das Bild bestimmen. Deshalb ist Fontane (1893) davon überzeugt, „daß wir an unsicheren Zuständen laborieren und daß ein tiefes Mißtrauen durch das Land schleicht .. . Der Zusammenbruch der ganzen von 64 bis 70 aufgebauten Herrlichkeit wird offen diskutiert, und während immer neue 100 000 Mann und immer neue 100 Millionen bewilligt werden, ist niemand ... im geringsten von der Sicherheit unsrer Zustände überzeugt...“ Provinzialismus, Geistund Poesiefeindlichkeit, nationale Borniertheit und Militarismus machen das gegenwärtige Preußen ästhetisch und moralisch ungenießbar und fallen unter den vernichtenden Begriff des Borussismus. Der Vorstellungskomplex „altes Preußen“ verflüchtigt sich zu einem „ideellen“ Preußen,
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