das nichts mehr mit den realen, gegenwärtigen Machtverhältnissen zu tun hat. In diesem Punkte wird Fontane immer eindeutiger in der Erkenntnis: „Ehe nicht die Machtverhältnisse zwischen alt und neu zugunsten von ,neu‘ sich ändern, ist all unser politisches Tun nichts als Redensartenkram und Spielerei. Existierte nicht die Sozialdemokratie und hätte nicht die Aufrichtung des Reichs dem alten Preußentum einige arge Schwierigkeiten eingebrockt, so wäre die Situation auf absehbare Zeit hoffnungslos...“ (1895). In Anbetracht solcher und ähnlicher Bekenntnisse, in Anbetracht auch des „revolutionären“ Diskurses im „Stech- lin“ drängt sich hier nochmals die Frage auf, inwiefern die Wahrhe : t über Fontanes Urteile in der „Mitte“ liege. Denn im Laufe von Fontanes Entwicklung verlieren Haltung, Tugenden und Gesinnung den Bezug zu jedem, wirklichen Preußen, so daß sich durchaus von schlechthin bewah- renswerten und in die Zukunft aufhebbaren menschlichen Qualitäten sprechen läßt.
Die großen Vorzüge des Buches bestehen in der systematischen Ordnung eines reichhaltigen Materials, in einem übersichtlich zusammenfassenden Schlußteil und in einem sehr umfangreichen Anhang, der sowohl dem interessierten Leser als auch dem Fontaneforscher das Material erschlies- sen hilft. Freilich lenken Darstellung, Anhang und auch die Einleitung die Aufmerksamkeit auf fragwürdige Positionen, die der Autor durchgängig geltend macht. Zwar korrigiert er seine Feststellung, „die Deutschen“ erlebten derzeit eine preußische und eine Fontane-Renaissance, zwar gesteht er zu, daß es zumindest in der DDR keinerlei Kräfte oder Bedingungen für eine angeblich längst fällige „Rehabilitierung“ Preußens gebe (11/13), zwar stellt er gegen Bodo Scheurig klar, daß Fontane nicht als Preuße, sondern als großer Schriftsteller massenhaft gelesen und aufgelegt werde, doch lehnt er es strikt ab, elementare literatursoziologische Aspekte wenigstens ins Kalkül zu ziehen. Selbst dem nicht- marxistischen Literaturwissenschaftler dürfte es nicht verborgen bleiben, daß die historisch konkreten sozial-ökonomischen Lebens- und Gesellschaftsverhältnisse nachhaltig auf die Lesemotivationen und auf die ästhetischen Bedürfnisse einwirken, daß also die Fontanerezeption in der DDR tatsächlich etwas mit der „Errichtung des Sozialismus“ zu tun haben muß. Vielleicht wird ein Autor nicht erkennen oder anerkennen können, daß und wie der ästhetische Gehalt Fontanescher Werke das Ringen um den sozialistischen Menschen und um sozialistische Gemeinschaftsbeziehungen bestätigt und rechtfertigt. Indessen ist es zu wenig, solche Gedanken mit einer Handbewegung abzutun, ohne sie ernsthaft zu prüfen oder sich damit auseinanderzusetzen. Nicht weniger überzeugend, im Grunde mehr behauptet als bewiesen wirken andere Ausfälle gegen die Fontaneforschung in der DDR. Man hat den Eindruck, daß Attwood die veraltete und gänzlich indiskutable Dissertation von Rolf N. Linn über „Prussia a ud the Prussians in the Works of Theodor Fontane“ (1949) nur deshalb heranzieht, um gegen Hans-Heinrich Reuters Arbeiten polemisieren und aus dieser Polemik die eigene „mittlere“ Darstellungskonzeption recht- fertigen zu können. Dieses Vorgehen rächt sich insofern, als Attwoods Methode weniger konstruktiv als konstruiert erscheinen muß.
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