In deutlicher Frontstellung gegen die marxistische Literaturwissenschaft behaupt Attwood wiederholt, von einer Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsorm sei bei Fontane so gut wie nichts zu spüren; dies schon deshalb nicht, weil für Fontane „der Kapitalismus - überhaupt keine Problematik 1 gewesen sei (24). Meint nun Attwood damit, daß das Wort Kapitalismus bei Fontane so gut wie gar nicht vorkomme, oder hält er die vielfältigen und immer schärfer werdenden Ausfälle des Dichters gegen den Bourgeois und die Bourgeoisgesinnung, gegen die Entfremdungssituation des Künstlers, gegen das Ausbeutungsverhältnis zwischen Verleger und Autor, gegen den Warencharakter der Literatur für unreflektiertes Gerede in einen sozial luftleeren Raum hinein? Haben am Ende Fontanes Auslassungen über die aktuellen sozialen Fragen und vor allem über den vierten Stand, über Altes und Neues keinen Bezug zur kapitalistischen Gesellschaft, die ihn umgibt? Und sind es nicht deren menschlich-gesellschaftliche Beziehungen und Verhältnisse, die den epischen Raum seiner Gestalten und Probleme konstituieren und übrigens auch seine Preußen- und Geschichtsvorstellungen filtern und modifizieren? Wenn die marxistische Literaturwissenschaft diese ideologischen Vermittlungsprozesse bei Fontane als widerspruchsvoll kennzeichnet, so ist die Feststellung von Widersprüchen keineswegs als Ausdruck von Verlegenheiten zu deuten. Widersprüche sind in diesen und ähnlichen Entwicklungen durchaus natürliche Erscheinungen, die übrigens auch darauf hinweisen, daß Fontanes Begriff des richtigen „Maßes“ nicht als ein mechanisches Einpendeln extremer Einstellungen aufzufassen ist, sondern als subjektivierte ideologische Orientierungsfunktion, als Moment und Ergebnis vielfältig bedingter dialektischer Auseinandersetzungen und sozialer Reaktionen, die uns das vorliegende Buch allerdings nicht immer erschließen kann. — Dr. Dietrich Sommer —
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 22,1—3: Causerien über Theater. T. 1—3. 1964—1967. München. Nymphenburger Verl.
Um dies eine vorwegzunehmen: Die drei starken Bände, die innerhalb der Nymphenburger Fontane-Ausgabe bestimmt sind, die Theaterrezensionen aufzunehmen, sind keineswegs bloß eine Fundgrube für professionelle Theater- und Literaturhistoriker, es sind durchaus Lese-Bücher, in denen lebendigster Fontane auf jeder Seite zu finden ist. Um in des Dichters Sprache zu reden: Nichts ist „ledern“, nichts langweilig, nichts aus zweiter Hand. Der Druck, der hier vorliegt, gibt diese Seite des Fontaneschen Schaffens zum ersten Male vollständig. Für Fontane war die Theaterkritik Broterwerb. Er stand der Tätigkeit — wie übrigens den meisten seiner Arbeiten — nicht ohne Skepsis gegenüber: „Ich kann all diese Witzchen zwar verantworten, sie haben einen ernsten Hintergrund und dienen, nach dem Maße meiner Erkenntnis, der Wahrheit und nicht der Lüge, dennoch empfand ich die Richtigkeit dessen, was mir meine Frau vorgestern sagte: ,Es ist nicht ganz deiner würdig 1 “ (an Mathilde v. Rohr
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