1872). Fontane hatte, wie er in dem Briefe ausführt, seine Zweifel hinsichtlich seines Alters und hinsichtlich seiner Vertrautheit mit „diesem Theaterkram“. Dennoch blieb er zwei Jahrzehnte beim Metier, und das Resultat ist eindrucksvoll. In einem Punkte trifft seine Skepsis allerdings das Rechte: Seine Kritiken sind nicht „von der Stange“. Sie alle sind im unnachahmlichen Fontane-Ton geschrieben, der nichts im Unklaren läßt. Fontane schont niemanden: Theaterdichter nicht, Schauspieler nicht, auch dem Publikum sagt er ungeschminkt die Meinung: „Dann fällt der Vorhang, und wir nehmen nichts weiter mit nach Hause als den Beifalls- lärm“ (1,411). Fontanes Tadel kann scharf, bissig und voller Spott sein. Die Phrase im Text, das Gestelzte im Schauspiel sind Dinge, die Fontane mit Nachdruck tadelt. In Dingen der Kunst, so sagt er, verstehe er keinen Spaß: ..Kunst ist Kunst“. Doch der Spaß bleibt dabei nicht aus. Fontane nimmt kein Blatt vor den Mund: „ein Salat von großen Worten“ (in einem längst vergessenen Stück) läßt ihn kalt. Der Kritiker auf Parkettplatz 23 („dort sitzt das Scheusal schon wieder“) nimmt es genau mit Text und Spiel.
Ein Beispiel: „Von diesem ,einen Ton“ kann nun auch Frau Bittner nicht herunter. Wo er hinpaßt ist er gut, aber er paßt nicht überall hin, und wenn jemand zu sagen hat: ,Laßt uns sehen, ob der Briefträger schon da war“, so darf dies nicht gesprochen werden nach der Analogie von ,0 neige, du Schmerzensreiche, dein Antlitz gnädig meiner Not.““ — Doch auch im Lob ist Fontane — und gerade dies wurde gelegentlich von Kritisierten als ungewöhnlich empfunden — entschieden und vorbehaltlos. So sagte er von einem Schauspieler: „die Besten reichen ihm in dieser Rolle kaum bis ans Knie“.
Diese kurze Rezension ist ganz und gar außerstande, auch nur anzudeuten, welche Fülle an Scharfsinn, an genauer Beobachtung und an geschliffenen Witz in diesen Kritiken zu finden ist. Und Fontane darf sich mit Recht etwas darauf zugute halten, daß er in jeder Hinsicht unbestechlich ist — und frei von falschem Respekt. Auch die Klassiker sind ihm keineswegs heilig. „Diese Egmontgestalt“, so äußert er sich vor seinen Berliner Lesern, „das Entzücken meiner Jugend, ist mir heute einfach ein Greuel, eine historische Sünde“ (14. 9.1870 — ich zitiere hier den Text, wie ihn Schlenther und Reuter geben).
Es gibt in der Editionsgeschichte Ereignisse verschiedenen Ranges und der Fachmann hat sie alle zu würdigen. Dies hier ist in der Geschichte der Herausgabe Fontaneschen Gesamtwerkes zweifellos ein Ereignis e fsten Ranges. Dem Herausgeber Edgar Groß, der in Zusammenarbeit Rainer Bachmann (3. Teil) und dem verstorbenen Fontaneforscher Kurt Schreinert die Texte in den Bibliotheken aufgespürt und sichergestellt und durch einen 340 Seiten starken Anmerkungsapparat kommentiert hat, fällt das Verdienst einer Erstsrschließung zu. Allerdings gab es bisher schon eine Reihe von Teilausgaben der Theaterkritiken, die indessen nur einen Bruchteil des gesamten in Zeitungen abgedruckten Materials enthielten. Am Anfang stand' eine 440 Textseiten umfassende Ausgabe Paul Schlenthers, dem auch der echt fontanesche Name Cau-
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