Heft 
(1973) 16
Seite
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rischen Rahmen und leitet zum späteren Gesellschaftsroman Fontanes über. Das Exemplar im Fontane-Archiv ist, wie die Widmung zeigt, ein Geburtstagsgeschenk des Verlegers Hertz an Frau Emilie Fontane. Wir blättern in einem anderen, weniger umfangreichen Werk Fontanes, das 1881 ebenfalls bei Hertz erschienen ist. Es istEllernklipp, nach des Dichters Meinung eine Stimmungsnovelle, allerdings von recht düste­rem Kolorit. Sie erinnert in der ThematikEwig und unwandelbar ist das Gesetz, wer sich ihm entgegenstellt, ist der Rache verfallen an das Werk des Tunnelfreundes Theodor Storm. StormsGesammelte Schriften stehen selbstverständlich ebenfalls in Fontanes Bücherei. Wir nehmen die Bände in die Hand, finden aber keinerlei Marginalien, überhaupt keine sichtbaren Spuren einer eingehenden Beschäftigung mit den Ge­dichten oder Novellen des Husumer Dichters. Hier liegen die Dinge gerade umgekehrt wie bei Heyse. Fontane erkennt die schriftstellerische Leistung Storms an, aber er mochte ihn rein wesensmäßig nicht. Wir können darüber allerlei in seiner SelbstbiographieVon Zwanzig bis Dreißig nachlesen. Einmal ärgerte ihn die antipreußische Haltung Storms, die er als provinzielle Rückständigkeit und chronische Husumerei bezeich- nete, und amüsiert lesen wir, wie Fontane sich genierte, als Storm eines Tages in Husumer Freilufthabit selbstsicher und völlig unbefangen unter den elegantesten Gardekürassieren im Cafe Kranzier auftauchte. Im übrigen bezeichnete er ihn alsbedeutendsten Liebeslyriker seit Goethe, worin freilich auch eine Art Gegensatz lag, denn solche Verse lagen Fontane selbst überhaupt nicht. Recht trocken äußerte er inVon Zwanzig bis Dreißig, Storm seieiner jener vielen Hilflosen, die wie der Liebe so der Dienste einer Frau nicht wohl entbehren können, was wiederum für Fontanes eigenes Wesen sehr kennzeichnend ist.

Wir möchten nun auch zu Gottfried Kellers Werken greifen, finden sie aber nicht in Fontanes Bücherschrank, sondern heute nur noch die drei­bändige AusgabeGottfried Kellers Leben von Jakob Baechtold (1894). Die Liste derVerschollenen Werke gibt uns Auskunft, daß früher in der Bibliothek des Dichters nachweisbar KellersSieben Legenden und Die Leute von Seldwyla standen. Sicher hätten wir Marginalien darin gefunden, denn er hat diese beiden Werke sehr genau durchgearbsitet und in derVossischen Zeitung besprochen. Während er die atheistische Grundhaltung derSieben Legenden verkannte und über ihre Stil- losigkeit klagte, fiel die Beurteilung derLeute von Seldwyla positiv aus:Alle diese Erzählungen allenfalls mit Ausnahme einer sind reizend zu lesen. Sie bewegen uns das Herz, wir begleiten sie unter Weinen und Lachen, überall sprechen Liebe, Sorgfalt und ein durchaus origineller Dichtergeist zu uns. Allerdings ist es bezeichnend für den jeder Überhöhung der Wirklichkeit abholden Fontane, der über die Dorothea aus GoethesHermann und Dorothea geschrieben hatte: so spricht kein pfälzisches Mädchen, daß er auch bei der Heldin von Romeo und Julia auf dem Dorfe den für ein sechzehnjähriges Mädchen unrealistischen Märchenton bemängelte.

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