Wenige Wochen vor seinem Tode, am 17. August 1898, schrieb der alte Fontane aus Karlsbad an Siegmund Schott: „Mit Gottfried Keller hätte ich gern Freundschaft geschlossen, denn er ist in meinen Augen der bedeutendste deutsche Erzähler. Dennoch wäre trotz bestens Willens auf meiner Seite wohl nie etwas daraus geworden. Ich fürchte, daß ich ihm gründlich mißfallen hätte.“ Das stimmt wahrscheinlich, und besonders hätte Kellers Goethe-Nachfolge eine Verständigung mit Fontane wohl schwierig gemacht.
Bei weiterer Durchsicht des Bücherschatzes im Fontane-Archiv machen wir einen etwas kuriosen Fund, einen dreiundneunzig Seiten langen Minnegesang „Felicia“ von Otto Franz Gensichen, den wir gleich wieder beseite legen würden, wenn uns nicht die vielen Randbemerkungen und Unterstreichungen neugierig machten. Das Erscheinungsjahr dieses schwülstigen Machwerkes, in dem der damals höchst erfolgreiche Autor beschreibt, auf welche Weise sich Felicia in den Armen Alfreds von ihrem Ehemann Erich erholt, ist 1882, das gleiche Jahr also, in dem Fontanes erster Berliner Roman „L’Adultera“ herauskam, der ebenfalls das Ehebruchmotiv behandelt. Fontane hat danach noch in so bedeutenden Romanen wie „Irrungen und Wirrungen“ und „Effi Briest“ das gleiche Motiv einmal als Widerspiegelung eines unüberbrückbaren Klassengegensatzes, zum anderen eines erstarrten, inhumanen Ehrenkodexes gestaltet. Es ist anzunehmen, daß sich Fontane im Erscheinungsjahr von „L’Adultera“ aus Neugierde in launiger Stimmung mit dem Elaborat seines Zeitgenossen Gensichen beschäftigt hat und daß es deshalb nicht auf dem Hängeboden neben dem Brennmaterial gelandet ist. Einige Beispiele sollen Fontane in diesem Fall etwas eingehender als Leser charakterisieren. Da steht gleich am Anfang, als sich Felicia über den „musenfremden“ Sinn ihres Mannes beklagt, von Fontanes Hand am Rand: „Gott sei Dank doch einer“. Als sich Felicia mit „liebestrunkenen Purpurlippen“ in die Arme Alfreds, ihres Geliebten, stürzt und
Angstbeklommen tief nach Athem ringend,
Den Geliebten inniger umschlingend Und beglückter Sicherheit bewußt Sanft entwindet auf dem Pfühl zu ruhn;
Schnell verriegelt wird die Thüre nun,
Und der Fenstervorhang rauscht hernieder, da unterstreicht Fontane den Satz von der verriegelten Tür und schreibt an den Rand mit Rotstift „Wundervoll“.
Herr Gensichen fährt fort:
Lächelnd ihrer nahen Liebesfeier
Blicht sie den Erwählten sehnend an,
und Sie knüpft vom Lockenhaupt den Schleier,
Löst des Mieders strengen Bann,