hatte ihn in die literarisch interessierten Kreise der Stadt, so auch in den „Tunnel“ eingeführt. Der Fontane eingesandte Aufsatz war ein Nachruf Seidels auf den toten Freund und Lehrer; die Vossische Zeitung veröffentlichte ihn am 3. November 1872. Die Freundschaft zu Karl Eggers war es auch, die Fontane Mathilde von Rohr am 26. März 1874 mit- teilen ließ:,, eine Pflegetochter des Senator Eggers, ein Fräulein Becker aus Rostock oder Hamburg' hat sich mit einem jungen, blonden dichtenden Ingenieur [Seidel] verlobt. Das ganze Paar ist doch aber wenig dichterisch“ . 5
Näher beschäftigte sich Fontane mit Seidel in den nächsten Jahren als Rezensent in der Vossischen Zeitung. 6 In einer Sammelbesprechung, die ihm Seidel schon am 8. Dezember 1873 und am 10. Mai 1874 angetragen hatte, 7 schrieb er in der Sonntagsbeilage Nr. 27 vom 5. Juli 1874 über „Blätter im Winde. Gedichte“, 1874, und über „Fliegender Sommer. Phantasiestücke“, 1873, Seidels erste Veröffentlichung nach dem „Rosenkönig“ vom Jahre 1871. Von den Gedichten lobte Fontane „das „humoristisch Gefärbte“; Seidels Begabung läge aber auf der „Seite des Epischen oder doch des Episch-Lyrischen“. So stellt er auch die Vers- erzählungen über die Gedichte, wobei ihm auch hier „alles Neckische in Ironie und feinem Humor Getauchte am besten gefallen“ hat. Die Prosa-Märchen des „Fliegenden Sommers“ gleichen ihm einander zu sehr, es mangle an wechselnden Themen und Stoffen; ihr poetischer Apparat, die künstlichen Mittel dieser Märchenwelt kamen ihm zu sehr zuhauf. Einzeln, glaubte er, wirkten sie viel stärker; doch „Die Hauptsache bleibt, daß, wenn wir auch die größere Hälfte des Buches fallen lassen, immer noch vier Prachtstücke übrigbleiben“. Diese erste wohlwollende Besprechung rückt Seidel literarisch in die Nähe Storms und erkennt den „Ton heiterer, drüberstehender Ironie“ als das Charakteristische Seidels
Auch die folgenden Besprechungen schrieb Fontane für die Vossische Zeitung: „Aus der Heimath. Studien.“, 1874, erschien am 21. März 1875 in der Sonntagsbeilage Nr. 12, 8 „Vorstadt-Geschichten. Humoristische Studien“, 2. Auflage 1880' am 13. Dezember 1879 in der Sonntagsbeilage Nr. 50. Mit beiden Rezensionen knüpft Fontane an seine frühere Kritik an, positiv, weil er nun das .Märchenelement eliminiert sieht, das Phantastische aufgehoben zugunsten einer schlichten, heimischen und damit vertrauten Welt. „Es ist wirkliches und unmittelbares, nicht erst durch Zauberapparat in Scene gesetztes Leben, was er uns hier vorführt. Die allereigentlichste Dichtereigenschaft, die Gabe, das Alltägliche zu etwas Apartem, das scheinbar Gleichgültigste zu etwas Interessantem zu machen und den Faden einer uns fesselnden Erzählung gleichsam aus dem Nichts abzuspinnen, diese Gabe hat Seidel in einem hohen Maaße... Die Schreibweise... ist sehr sorglich; man merkt die Storm-Stiftersche Schule, von der man sagen kann, der Stoff erwächst erst aus der Liebe- die ihm entgegengebracht wird“. Diese Liebe aus dem Einfachen und Kleinen setzt Fontane, zeitgebunden, als Maßstab. In der Form sieht er die Gefahr der Weitschweifigkeit, des Zuviels, das Spannung nimmt.
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