so tritt doch die Verschiedenheit in der Ähnlichkeit, der individuelle Zug, der sich anfangs verbarg, mehr und mehr hervor. Th. F.“
Diese Besprechung ist in dem humorvollen Abwägen und ihrer sprachlichen Brillanz charakteristisch für einen Bereich des Kritikers Fontane. Schon der Titel „Winterfliegen“ führte ihn zu einem ironischen Spiel, das er gleichfalls mit eigenen Titeln führte, des Realismus wegen. Für Seidel einte das auch ironisch die Verwandlung des Aschenputtels in eine „goldpantoffelte“ Prinzessin. Den „Lieder-Vater“, als „Märchenvater“ schon vorher getadelt, rückt der Kritiker in dessen eigener Welt zurecht. Das Schema realistischer Literaturkritik hielt Fontane auch für Seidel bei. 11
1880 hatte Seidel seinen Beruf als Hallen- und Brückenkonstrukteur aufgegeben und versuchte allein vom Schreiben zu leben. Für seine Bücher sah er sich nach einem angesehenen Verleger um. Friedrich Luckhardt, 1875 nach Berlin übergesiedelt, hatte Seidels Bücher 1880 verlegt; gerade aber in dieser Zeit steckte er viel Kraft und Engagement seines Unternehmens in die Gründung des „Deutschen Tageblatts“, das
1881 erschien. 12 So suchte Seidel einen neuen Verleger und dachte dabei an Wilhelm Hertz, in dessen Verlagsprogramm seine Werke durchaus hineinpaßten. Um den nötigen Kontakt nahm er Fontanes Hilfe in Anspruch. Dieser schrieb seinem Verleger Hertz am 16. Januar 1882: „Eben erhalt’ ich noch einige Zeilen von Herrn Heinrich Seidel hierselbst (Carlsbad 11), der den Wunsch gegen midi ausspricht, ihn bei Ihnen zu introduciren, ein Wunsch, dem nachzukommen, mir ein Vergnügen ist. H. S. ist einer unsrer besten Erzähler, dem, neben vollkommener Beherrschung der Form, ein feiner und glücklicher Humor zu Diensten steht. Aber ich sage Ihnen nur, was Sie wahrscheinlich längst wissen. Weiß ich doch mit welcher Aufmerksamkeit Sie den Stand unsrer Novellistik von Jahr zu Jahr verfolgen.“ Charakteristisch für Fontane ist das Postskriptum, in dem er, fast erschrocken über sein zustimmendes Engagement, das Urteil einschränkt, voller Scheu, persönlich etwas verantwortet zu haben, dem er nicht uneingeschränkt zustimmen kann. „Was ich über H. S. gesagt habe, damit hat es seine Richtigkeit. Er ist sehr talentvoll; ob audi sehr angenehm, laß’ ich dahingestellt sein. Im Übrigen war es eine Dämlichkeit solche ,Introducirung‘ von mir zu wünschen. Als ob Ihr Urtheil einen Augenblick dadurch bestimmt werden könnte!“ 13
Auf Hertz’ Antwort an Fontane vom 17. Januar, daß der Verleger z. Zt. fast zuviel Novellistik angenommen habe und daß ihn Fontanes Meinung, ein Kenner der deutschen Novelle zu sein, beschäme, da er Seidels Gedichte und „Vorstadtgeschichten“ gar nicht kenne, 14 wird Fontane noch deutlicher in seiner Unterscheidung des Schriftstellers und Menschen Seidel: 13 „Die Seidel-Sache liegt so: Persönlich ist er mir durchaus unsympathisch, er hat im höchsten Maaße die still-lächelnde, kolossale ,Überzogenheit‘ des Lyrikers und schließt jeden Tag mit dem Nachtgebet ab: ,ja, lieber Gott, so bin ich: freue Dich meiner.“ Ich deutete dies in meinem vorigen Brief schon an. Sein Talent ist aber wirklich respektabel