Heft 
(1973) 16
Seite
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über, zu keiner vollen freudigen Hingebung bringen. Die Personen sind mir zu unsymphatisch und ein bisdien von dem mich unsymphatisch Berührenden steckt auch in ihren Büchern. Ich gebe zu, daß dies total in Fortfall käme, wenn ich die Herren Verfasser nicht kennte; da ich sie nun aber mal kenne, so starren mich aus dem, was blos von ihnen herrührt, dieselben gräßlidien mecklenburgischen Glotzaugen an, die mir im Leben so ärgerlich sind. Es ist ein außerordentlich begabter Menschen­schlag und ich kann den Dünkel- daran sie kranken, nicht ganz unberech­tigt finden; aber es ist mit ihnen wie mit den Juden, sie haben unbestreitbar eine wundervolle Durchschnittsbegabung, werden aber ungenießbar dadurch, daß sie einem dies Durchschnittsmäßige, dies schließlich doch immer furchtbar Enge und Kleinstädtische, als etwas .Höheres 1 , als das eigentlich Wahre aufdringen möchten. Ein Mecklenbur­ger wenn er nicht blos durch einen baren Zufall (wie Moltke) in Par- chim oder Teterow geboren wurde kann nie die .Jungfrau von Orleans 1 oder die .natürliche Tochter 1 schreiben; er bringt die Vornehm­heit, den großen Stil nicht heraus, er bleibt bei Lining und Mining oder bei Bräsig oder bei Leberecht Hühnchen. Das sind nun alles allerliebste Figuren; aber sie rechtfertigen durchaus nicht die Dickschnäuzigkeit, womit sie einem präsentirt werden. Es ist wahr, es giebt überhaupt wenige nette Dichter, aber sie kommen doch am Ende vor und beweisen einem, daß Talent, Hochflug und Reichtum an Herz und Seele mit Bescheidenheit gepaart sein können. Ein glänzendes Beispiel ist Gerhart Hauptmann... Der Deutsche, wenn er nicht besoffen ist, ist ein un­geselliges, langweiliges und furchtbar eingebildetes Biest. Ich wenigstens habe es nie mit solchen Pappenheimern aushalten können. ' M

In dieser Stammeseinteilung, die sich nicht nur in diesen Briefen äußert, liegt eine zeittypische Beschränktheit. Und die unnötige Äußerung über die Deutschen ist momentan. Fontane besaß vielmehr im Alter ein Nationalbewußtsein, wie er es Seidel gegenüber 1897 äußerte und zu deren literarischen Vertretern er auch Seidel rechnete. Einen Beitrag zur Nationalliteratur oder vielmehr einen deutschen Beitrag zur euro­päischen Literatur zu leisten, darum bemühten sich auch in dieser Zeit die Naturalisten wie auch Fontane selbst. Zu dessen 70. Geburtstag verfaßte Seidel ein konventionelles dürftiges Carmen, dessen 13 Strophen Archibald Douglas apostrophieren und zitieren. Der Wanderer durch die Mark, der Brandenburger Fontane, wird von Seidel besungen, keine Replik, ein Provinzialismus der deutschen Literatui', den Fontane eben­falls manchmal besaß. Doch als Heimatdichter desArchibald Douglas hatte Seidel ihn mißverstanden.

Er hats getragen siebzig Jahr Des Lebens Lust und Leid!

Den Jüngling dort im grauen Haar Ihn beugte nicht die Zeit.

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