gelesen, natürlich sehr zu meiner Lust. Ob Wolzogen ebenso empfindet, weiß ich nicht; es kam mir an dem G. Hauptmann-Abend (er hatte die letzte Nummer schon gelesen) nicht ganz so vor.
Anbei das Geschreibsel. Es ist konfus und unfertig, aber ein paar leidlich gute Wendungen, auch vielleicht Wahrheiten sind drin. Ich entsinne mich so dunkel, der Hauptwitz der Sache sollte in einer direkten Parallele bestehen, in einer Schilderung: so leben die und die Dichter und Schriftsteller und so leben die und die Maler und Bildhauer. Daß sich da ein Unterschied zu unsern Ungunsten ergibt, ist mir ganz sicher; Schwind, Makart, Piloty, Lessing (Karlsruhe), wie standen sie da! Anton von Werner, Rauch, Begas, Menzel, Lenbach, Uhde, die Achenbachs, wie stehen sie da, verglichen mit uns. Sie werden von den Machthabern wie Kollegen, wie Kunstfürsten angesehen, und das Publikum fühlt sich durch ihre Gegenwart geehrt. Das trifft bei uns nicht zu, weder bei Heyse noch bei Wildenbruch, kaum bei Freytag, der beiläufig 1870 das Hauptquartier verließ, weil man doch zu wenig aus ihm machte. Trotzdem empfand ich, wie schwer es sei, die Sache so recht schlagend vor aller Welt zu beweisen. Geibel, Bodenstedt, Heyse, Hans Hopfen sind geadelt worden, Freytag hat den Pour le merite, Lindau war nicht bloß persona gratissima bei Bismarck, sondern auch beim Fürsten Hohenzollern, bei den Hohenlohes und bei den meisten Botschaftern, Wildenbruch sitzt neben dem Kaiser im dunklen Parquet und (nicht zu glauben) selbst Lubliner wird in die Hofloge gerufen. Es ließe sich diese Aufzählung gewiß noch sehr erweitern, und weil es so ist, müssen wir uns hüten, den Empfindlichen zu spielen, weil man uns erwidern könnte: „Ja, Kinder, was verlangt ihr denn eigentlich? Conrad Alberti kann doch nicht Geheimrat im Kultusministerium und Karl Bleibtreu, gestützt auf .dies irae‘, Generalstabsoffizier werden.“ All das ließ mich von Ausführung meiner Idee wieder Abstand nehmen, vielleicht auch das Gefühl, daß von mir persönlich zu erhebende Ansprüche über und über erfüllt worden seien —
Unter Empfehlungen an Frau Gemahlin in vorzüglicher Ergebenheit
Th. Fontane.
Dieser Brief ist in mehrfacher Beziehung aufschlußreich.
Zunächst einmal besagen die Worte: „Ich entsinne mich so dunkel, der Hauptwitz der Sache sollte in einer direkten Parallele bestehen“ eindeutig, daß Fontane den Aufsatz viele Jahre früher geschrieben hat. Denn sonst ließe sich nicht erklären, warum er sich an die Absicht, die er beim Schreiben gehabt hatte, nur noch „so dunkel“ erinnerte. Folglich rückt der Aufsatz, was seine Entstehungszeit betrifft, in die Nähe jener Aufzeichnungen über „Die gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers in Deutschland“, die nach Hans-Heinrich Reuter 1881/82 bzw. „nicht lange nach 1881“ konzipiert sind'. In diesen Aufzeichnungen hat Fontane die im Aufsatz beabsichtigte, aber nicht ausgeführte Parallele zwischen Dichtern und Schriftstellern einerseits und Malern und Bildhauern andrerseits wenigstens mit einigen Sätzen kurz skizziert, und zwar unter Einbeziehung auch der Musiker. Fontane will dort den Beweis erbringen,
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