Komplex, das u. a. eine sinnstörende, aber nie aufgefallene Verlesung Frickes ans Licht bringt. Mit Nachdruck wies Peter Goldammer, dessen Einführung in den Plan der Aufbau-Ausgabe gleich damals hätte erscheinen sollen, auf die analytische Relevanz von Vorstufen wichtiger Stellen (im „Stechlin“ und in „Quitt“) hin. Auch die seinerzeit beinahe sensationellen Textbefunde Gotthard Erlers an „Mathilde Möhring“ sind seit längerem in der Ausgabe zugänglich; doch muß man ihm dankbar für ein paar erstaunliche Rüdeseitennotizen sein, die nunmehr gedruckt vorliegen. — Durch Helmuth Nümbergers Beitrag über die Ausgabe der Briefe an Hermann Kletke wurden die Probleme neuerer Briefeditionen repräsentativ dargestellt, ebenso wie durch Charlotte Jolles diejenigen der nicht-fiktiven Prosawerke. Der Autorin ist völlig beizustimmen, wenn sie auf dem Eigenwert und Buch-Charakter der Schriften über England besteht und letztere weder allein nach ihrem Materialwert noch als Umweg für den Romancier bewertet sehen möchte. Verdienstlich sind ihre Hinweise auf Ruskin, Maculay und Heines „Salon“; zweifellos müßte die geforderte „erneute kritische Betrachtung und Einschätzung“ ihre wichtigste kontrastive Folie an der etwa gleichzeitigen „Lutezia“ finden. Gleichsam als polare Ergänzung des Fontaneschen Verhältnisses zu England (wie des ausgesparten zu Frankreich) steht im Protokoll der abschließende Bericht von Frido Mötäk über „Fontane und die Sorben“, der unter anderem eine bisher unbekannte Gruß-Adresse des Schriftstellers mitteilt; leider mußte der Stellenwert „wendischer“ Stoffe und Motive im Erzählwerk hier unberücksichtigt bleiben.
Die übrigen Vorträge galten einzelnen Romanen. Pierre-Paul Sagave gab, mit dem Material und z. T. auch den Formulierungen seines ausgezeichneten „Schach“-Kommentars von 1966, eine Deutung der Erzählung als eines „politischen Romans“, indem er Nachdruck auf dessen Aktualität fürs Zweite Reich legte. Sehr aufschlußreich war Walter Müller-Seidels Interpretation der „Frau Jenny Treibei“ durch die sichere, unprätentiöse Art, mit der dieser Roman in seine wichtigsten Traditionszusammenhänge eingestellt wurde, d. h. einerseits in die Bourgeoisie- und Bildungskritik (seit E. T. A. Hoffmann), andererseits in die Formen- und Gestaltenwelt des europäischen Realismus. (In Hinsicht auf die deutsche Tradition [130] wäre anzumerken, daß die vom Verfasser unbezweifelte Suprematie des Bildungsromans zwar auch ein Sachverhalt, aber mehr noch das Resultat einer geistesgeschichtlichen Ideologisierung dieser Tradition ist; Fontanes Roman steht in einer Reihe, die grob etwa durch „Abderiten“, „Siebenkäs“, „Kater Murr“, „Münchhausen“, „Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben“ und „Martin Salan- der“ bezeichnet werden kann.) — „Humor und Ironie in ,Effi Briest*“ führte Pierre Bange vor Augen; ersteren völlig einleuchtend, letztere weniger. Denn sowohl der vorausgesetzte Ironie-Begriff Thomas Manns, der eine primär philosophische und nicht stilistische Bedeutung hat, als auch die entsprechende Überbewertung eines „Käthchens von Heilbronn“- Zitats, dem eine strukturbestimmende Rolle zugesprochen wurde, — beides nähert den Roman Fontanes doch zu weit einer philosophischen
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