der es völlig gleichgültig ist, ob sie ihren Mann betrogen hat oder nicht, die ihr aber nicht verzeihen kann, daß sie die äußerlichen Regeln des Anstandes verletzt und Liebesbriefe aufbewahrt hat. Effi protestiert auch gar nicht gegen ihre Verurteilung; sie unterwirft sich demütig und erkennt alles, was nach der Trennung von ihrem Mann mit ihr geschieht, als gerechte Ordnung der Dinge an. Nur nach dem Besuch ihrer Tochter Anna erwacht in ihr ein schwacher Widerstand, als sie erfahren muß, daß auch ihr Kind sich durch den Einfluß der Erwachsenen von ihr losgesagt hat. Crampas und Effi nehmen im Grunde die über sie verhängte Strafe willig an und sterben alles verstehend und alles vergebend. Das mindert den Entlarvungscharakter ein wenig.
In Fontanes Romanen treten mit Ausnahme von „Vor dem Sturm“ sehr wenig Personen auf. Der Autor geht mit seinen Gestalten ökonomisch um; Parallelflguren sind bei ihm nicht zu finden. Eines der typischsten Beispiele für Fontanes Beschränkung auf die zur Enthüllung des Grundgedankens unbedingt notwendigen Personen ist der Roman „Effi Briest“, in dem sogar die Nebenfiguren wie Gieshübler oder Marietta Tripelli zur Verdeutlichung der Absichten des Dichters dienen.
In „Elfi Briest“ (und auch in anderen Romanen) zeigt sich Fontane als ein Meister des von emotionaler Bedeutung erfüllten Details. In erster Linie ist hier das schon erwähnte „Effi komm!“ zu nennen, das zweimal, vor der Verlobung und vor dem Tod, auftaucht. Ein solches Detail ist auch die Schaukel, auf der die heranwachsende Effi sich so gerne wiegt; auf die aber auch die Schwerkranke sich mühsam hinaufschwingt, weil ihr scheinen will, sie flöge gerade in den Himmel. Das Rauschen der Bäume, das Rattern des Zuges, scheinbar kleine, unbedeutende Einzelheiten, handhabt Fontane so gekonnt, daß sie zur unbedingt notwendigen Komponente bei der Hervorhebung von Kontrasten im Leben der Heldin werden. Durch Wiederholung zwingt Fontane den Leser immer wieder, über Elfis Schicksal nachzudenken. Das in den ersten Kapiteln Vorgeführte wiederholt der Autor in den Schlußkapiteln; aber zwischen Anfang und Ende verging ein ganzes Menschenleben: vor unseren Augen wurde Effi die Frau eines soliden Beamten, lebte kein sehr glückliches Leben und starb. W T ir lernen zwei Effis kennen: die ausgelassen fröhliche Heranwachsende und die vom Leid gebrochene junge Frau. Mit Mitteln der Komposition hebt Fontane die Hauptentwicklungslinien im Leben der Heldin hervor. Im Vorwort zur russischen Ausgabe von „Effi Briest“ schreibt der sowjetische Literaturforscher S. Gizdeu, schon zu Fontanes Zeiten habe die Kritik hervorgehoben, daß „die Komposition seiner Romane an die Komposition von Balladen erinnere“. Gizdeu kommt zu dem Schluß, daß „die Hauptsache im Roman nicht das Ereignis, sondern der seelische Zustand der Helden, nicht der leidenschaftslose Bericht, sondern die emotionale Atmosphäre ist .“ 16 Wir stimmen dem zu. Die (vom Sujet her gesehen) wichtigsten Ereignisse, Effis Verlobung mit Instetten und ihre Beziehung zu Crampas, werden nicht direkt beschrieben. Sie vollziehen sich sozusagen hinter der Szene; wir erfahren nur indirekt, aus zufälligen Entgegnungen oder aus Erinnerungen Effis von ihnen.
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