rungsprozeß an die Literaturbewegungen jener Zeit vollzog. Es lassen sich für diese Forschungslage vornehmlich zwei Gründe anführen: Einerseits spielt dieser Fragenkomplex in den Selbstzeugnissen und auch im kritischen Werk bis 1888/89 eine verhältnismäßig geringe Rolle, was darauf hindeutet, wie lange und stark Fontane seiner vertrauten konservativen literarischen Umgebung zunächst verhaftet blieb; zum anderen hat die Literaturwissenschaft dem Naturalismus aus Gründen ästhetischer Minderwertigkeit — mit Ausnahme von G. Hauptmann und Arno Holz — jahrzehntelang so geringe Beachtung geschenkt, daß bisher erst sehr wenig Quellenmaterial zugänglich gemacht und verarbeitet wurde. Es fehlen weithin die Voraussetzungen für Detailarbeit, die Fakten- und Materialgrundlage versagt häufig auch da, wo sich bisher der größte Teil der Naturalismus-Forschung konzentriert: als Nebenprodukt der Hauptmann- und Fontane-Forschung.
Vor diesem Hintergrund wird im folgenden das großenteils unpublizierte Quellenmaterial Fontane-Wilhelm Friedrich vorgestellt, das in der Hauptsache aus 29 im Fontane-Archiv Potsdam erhaltenen Abschriften von Briefen und Karten des Dichters an den Leipziger Verleger besteht. 2 Veröffentlicht wurden davon sechs Briefe in der „Zweiten Sammlung“ 3 , drei von diesen hat 1968 Erler erneut publiziert. 4 In einem Fall ist die Abschrift kürzer 5 und in einem anderen erheblich umfangreicher 6 als die Druckfassung; ansonsten unterscheiden sich die Potsdamer Abschriften von den Druckfassungen nur unwesentlich in Schreibung, Zeichensetzung und Hervorhebung einzelner Wörter. Es handelt sich bei diesem Material um Korrespondenzen aus den Jahren 1881 bis 1885, die v. a. die im November 1882 bei W. Friedrich erschienene Buchfassung des „Schach von Wuthenow“ sowie Neuerscheinungssendungen und Rezensionswünsche des Verlegers zum Inhalt haben. Zusammen mit zugehörigen Tagebuchaufzeichnungen und einigen Briefen an andere Empfänger stellen diese Quellen wahrscheinlich die frühesten zusammenhängenden Zeugnisse einer Verbindung zwischen Fontane und den um 1880 einsetzenden „modernen“ Literaturbestrebungen dar, die man etwas undifferenziert „Naturalismus“ zu nennen sich gewöhnt hat und deren Hauptverleger über ein Jahrzehnt Wilhelm Friedrich gewesen ist, bevor Mitte der 90er Jahre der S. Fischer Verlag zum Mittelpunkt der deutschen Avantgarde wurde.
Die Bedeutung Friedrichs für die Durchsetzung naturalistischer Weltanschauung und Literatur in Deutschland und sein auch persönlich weitreichender Einfluß auf die progressiven Autoren der 80er und frühen 90er Jahre sind ebenso ungewöhnlich wie die unternehmerische Gesamtleistung seines Verlegers. Umso erstaunlicher ist es, daß weder die Literaturwissenschaft noch die Verlagsgeschichte bisher nennenswerte Notiz von diesem Prototyp des modernen avantgardistischen Literaturverlegers genommen hat, 7 mit dem die Entwicklung des Verlegertums von der Bereitstellung technisch-wirtschaftlicher Dienstleistungen zu einem integralen Wirkungsfaktor des literarischen Prozesses einen vorläufigen Abschluß findet. Denn der wegen seiner nüchternen Geschäftspraktiken berüchtigte Friedrich war zugleich Protagonist einer neuen Geisteshaltung,