welchem erstmals „flaue“ Fontane-Kritiken und Beiträge wie jene peinliche Eigenwerbung Kretzers im „Magazin“ zu lesen waren, in dem bei Friedrich — um einige zeitgenössisch wirksame Publikationen zu nennen — M. G. Conrads „Todtentanz der Liebe“, H. Heibergs „Apotheker Heinrich“ und Karl Bleibtreus aufsehenerregende Novellenbände „Kraftkuren“ und „Schlechte Gesellschaft“ herauskamen, Hauptmanns „Prome- thidenloos“ kurze Zeit auf dem Markt war und Arno Holz’ „Buch der Zeit“ zu einem Katechismus der Eingeweihten wurde — dieses Jahr 1885 wurde zum Schlüsseljahr des deutschen Naturalismus. Als Fontane seinen letzten erhaltenen Brief an Friedrich schrieb, hatte die Lyrikanthologie „Moderne Dichter-Charaktere“ mit den berühmt gewordenen Einleitungen von Karl Henckell und Hermann Conradi bereits öffentliche Auseinandersetzungen provoziert und die ersten Hefte des von M. G. Conrad gegründeten, Ende 1886 von Friedrich übernommenen naturalistischen Kampf- und Zentralorgans „Die Gesellschaft“ bereits eine Signalwirkung ausgelöst, von der man sich heute nur noch schwerlich eine rechte Vorstellung machen kann. Erst mit diesen Publikationen und nicht schon mit den „Kritischen Waffengängen“ (1882/84) der Brüder Julius und Heinrich Hart entstand in der damaligen jungen Schriftstellergeneration das Bewußtsein der „Bewegung“, begann ihr publizistischer Durchbruch und die Beherrschung des aktuellen literarischen Lebens durch die naturalistische Avantgarde.
Fontanes Reaktion auf diese plötzliche Veränderung der literarischen Szenerie läßt sich nur an verhältnismäßig wenigen Selbstzeugnissen ablesen. Fontane hat vor allem die Lautstärke, die vermeintlich antitraditionelle Grundhaltung, die Formlosigkeit und die kritische Maßstabslosig- keit der frühen Naturalisten irritiert, eine Erfahrung, ohne welche die spätere Wegbereitung der konsequenten Naturalisten durch Fontane schwer denkbar ist. Erst mit Arno Holz und Hauptmann sah er das naturalistische Programm künstlerisch bewältigt und vertrat es dann auch mit seiner ganzen kritischen Autorität. Die Tatsache, daß diese spätere Hinwendung des „verspäteten“ Fontane zu den progressivsten und literaturgeschichtlich entscheidenden Naturalisten wiederum auf der Basis persönlicher Bindungen sich vollzog, könnte eine Spekulation darüber veranlassen, welche noch erheblich bedeutsamere Rolle der Verlag Wilhelm Friedrichs für die deutsche Literaturgeschichte gespielt hätte, wenn er Engel als Mitarbeiter und Fontane als Autor hätte halten und Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ sowie die damit eingeleitete Entwicklung für seinen Verlag hätte gewinnen können. Nach der tatsächlichen Entwicklung jedoch stand Friedrich 1889/90 bereits auf der falschen Seite, als unter dem Protektorat Brahms und Schlenthers und der kritischen Ägide Fontanes der Verein und die Zeitschrift „Freie Bühne“ zum Kristallisationspunkt einer literarischen Wende wurden, die Friedrich zwar publizistisch vorbereitet und eingeleitet hatte, auf die er aber nur noch wenig Einfluß auszuüben vermochte, als sich ihre historische Funktion entfaltete.
Es spricht vieles dafür, daß dieser Verlust der verlegerischen und organi-
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