Heft 
(1973) 17
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welchem erstmalsflaue Fontane-Kritiken und Beiträge wie jene pein­liche Eigenwerbung Kretzers imMagazin zu lesen waren, in dem bei Friedrich um einige zeitgenössisch wirksame Publikationen zu nennen M. G. ConradsTodtentanz der Liebe, H. HeibergsApotheker Hein­rich und Karl Bleibtreus aufsehenerregende NovellenbändeKraft­kuren undSchlechte Gesellschaft herauskamen, HauptmannsProme- thidenloos kurze Zeit auf dem Markt war und Arno HolzBuch der Zeit zu einem Katechismus der Eingeweihten wurde dieses Jahr 1885 wurde zum Schlüsseljahr des deutschen Naturalismus. Als Fontane seinen letzten erhaltenen Brief an Friedrich schrieb, hatte die Lyrikanthologie Moderne Dichter-Charaktere mit den berühmt gewordenen Einleitun­gen von Karl Henckell und Hermann Conradi bereits öffentliche Ausein­andersetzungen provoziert und die ersten Hefte des von M. G. Conrad gegründeten, Ende 1886 von Friedrich übernommenen naturalistischen Kampf- und ZentralorgansDie Gesellschaft bereits eine Signalwirkung ausgelöst, von der man sich heute nur noch schwerlich eine rechte Vor­stellung machen kann. Erst mit diesen Publikationen und nicht schon mit denKritischen Waffengängen (1882/84) der Brüder Julius und Heinrich Hart entstand in der damaligen jungen Schriftstellergeneration das Be­wußtsein derBewegung, begann ihr publizistischer Durchbruch und die Beherrschung des aktuellen literarischen Lebens durch die natura­listische Avantgarde.

Fontanes Reaktion auf diese plötzliche Veränderung der literarischen Szenerie läßt sich nur an verhältnismäßig wenigen Selbstzeugnissen ab­lesen. Fontane hat vor allem die Lautstärke, die vermeintlich antitradi­tionelle Grundhaltung, die Formlosigkeit und die kritische Maßstabslosig- keit der frühen Naturalisten irritiert, eine Erfahrung, ohne welche die spätere Wegbereitung der konsequenten Naturalisten durch Fontane schwer denkbar ist. Erst mit Arno Holz und Hauptmann sah er das naturalistische Programm künstlerisch bewältigt und vertrat es dann auch mit seiner ganzen kritischen Autorität. Die Tatsache, daß diese spätere Hinwendung desverspäteten Fontane zu den progressivsten und literaturgeschichtlich entscheidenden Naturalisten wiederum auf der Basis persönlicher Bindungen sich vollzog, könnte eine Spekulation dar­über veranlassen, welche noch erheblich bedeutsamere Rolle der Verlag Wilhelm Friedrichs für die deutsche Literaturgeschichte gespielt hätte, wenn er Engel als Mitarbeiter und Fontane als Autor hätte halten und HauptmannsVor Sonnenaufgang sowie die damit eingeleitete Ent­wicklung für seinen Verlag hätte gewinnen können. Nach der tatsäch­lichen Entwicklung jedoch stand Friedrich 1889/90 bereits auf der fal­schen Seite, als unter dem Protektorat Brahms und Schlenthers und der kritischen Ägide Fontanes der Verein und die ZeitschriftFreie Bühne zum Kristallisationspunkt einer literarischen Wende wurden, die Fried­rich zwar publizistisch vorbereitet und eingeleitet hatte, auf die er aber nur noch wenig Einfluß auszuüben vermochte, als sich ihre historische Funktion entfaltete.

Es spricht vieles dafür, daß dieser Verlust der verlegerischen und organi-

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