Ich soll darüber schreiben. Seien Sie mir nicht böse, wenn ich es ablehne; der Grund dafür liegt alles in allem mehr in einer Schätzung des Herrn Verf., als in Bedenken gegen denselben. Wäre die „goldene Schlange“ ein Durchschnittsbuch, rund und nett und weiter nichts, so hätte ich 30 freundliche Zeilen darüber geschrieben, nur um Ihnen zu Willen zu sein, im Uebrigen aber tief durchdrungen von der Gleichgültigkeit eines solchen Dutzendlobes. Dass ich nun aber nicht schreiben kann, das hängt gerade mit den Meriten des Buches zusammen, die nur wiederum nicht s o gross sind, dass ich, hingerissen davon, der Rücksichten auf mich selbst vergessen könnte. Kritisch stehe ich dem Buche gegenüber, bemerkens- werth Schönes im Ganzen und im Einzelnen deutlich erkennend, aber doch auch von so vielen Zweifeln und Bedenken bedrängt, dass ich nur unter beständigen Abwägungen darüber schreiben könnte. Meine Kritik würde Charakter und Ausdehnung eines Essays annehmen, womit weder Ihnen noch dem Herrn Verf. muthmasslich ein Gefallen geschähe. Läg* es aber auch anders, so würd’ ich meiner seits nicht 14 Tage Zeit (wahrscheinlich viel länger, weil ich den ganzen Heiberg erst durchlesen müsste) daran setzen können. Nicht können und auch nicht wollen. Denn wer setzt 14 Tage Zeit an mich? Seit 20 Jahren muss ich mir das Gequatsch beliebiger Penny-a-liner’s in den Zeitungen gefallen lassen, die 10 Zeilen über mich zum Besten geben, Zeilen deren Lob noch wertloser ist als ihr Tadel, während ich allem möglichen jungen Volk die Stiefel putze, damit sie sich blank und propre in der literar. Welt herumzieren können. Mit 64 Jahren hab’ ich’s nun endlich satt. Und wo wollen Sie mich gütigst entschuldigen.
Nur hier noch ein paar Worte über das Buch. Ich finde es sehr talentvoll, (das Schwächste sind die beständig falschen poetischen Bilder) im Ganzen gut, voll und wahr gegriffen, scharf in der Beobachtung von Menschen und Dingen, gedanken- und erfahrungsreich, flott erzählt in einem natürlichen und doch alle Plattheiten vermeidenden Stil, unterhaltlich und in seiner Tendenz richtig. Dabei (was mir bis über die Hälfte hinaus nicht der Fall zu sein schien) sehr fein componiert. Also ein ganzer Hümpel von Lob. Und ich könnte damit noch fortfahren. Dennoch bin ich der Sache nicht froh geworden, was nicht in der pessimistischen Anschauung des Verfassers, sondern in aesthetischen Uncorrekt- h e i t e n liegt, in Uncorrektheiten, die etwas andres sind als Fehler. In dieser Beziehung hat mich seine Schreibweise ganz ausserordentlich an die Zola’sche erinnert, die mich (darin Heiberg weit überlegen) durch die Farbensattheit und Fülle der Bilder hinreisst, die aber auch kein genaues Eingehn erträgt. Erfolgt das, so sieht man lauter Schiefheiten und Verrenkungen und ernüchtert sich. Es ist alles nur wirksam auf grosse Distancen hin, mit deren Hülfe die Unzulänglichkeiten Ihren Schleier finden. Aehnlich bei Heiberg.
In vorzüglicher Ergebenheit
Th. Fontane.
[Fontane-Archiv: Da 475, Briefe an die Freunde 2. S. 89/90.]
[ 22 ]
Berlin 29. April 84. potsd. Str. 134. c.
Hochgeehrter Herr.
Es kommt mir nun sehr komisch und beinah ridikül vor, Sie mit meinen naiv ausführlichen Auseinandersetzungen beschwert zu haben und werde ich mir die Poena dafür auferlegen, die gewünschten 30 Zeilen zu schreiben und an die Vossin einzuschicken.
In vorzüglicher Ergebenheit Th. Fontane.
[Fontane-Archiv: Da 476, ungedruckt.]