Sie bilden eine wahre Fundgrube des Wissens über Fontane, seinen Kreis und seine Welt.
Daß nun diese Ausgabe auch bisher ungedruckte Briefe enthält, ist vor allem, jedoch keineswegs ausschließlich, dem 3. Band zugute gekommen. Wenn man Emilie Fontane ausnimmt, so hat sich der Dichter wohl keinem anderen Briefpartner gegenüber so offen und vertrauensvoll ausgesprochen wie gegenüber Mathilde von Rohr. Daher sind die zweihunderteinunddreißig Briefe, die in Bd. 3 vereinigt sind, sogar mehr als eine Art von Ersatz für die Autobiographie des Fontane der mittleren und späteren Jahre, die nicht geschrieben worden ist und die, wenn sie zu Papier gebracht worden wäre, schwerlich so rückhaltlos das bekundete, was Fontane in diesen Briefen freimütig aussprechen durfte: seine sich von Jahr zu Jahr verschärfende Kritik an den Verhältnissen im Preußen- Deutschland seiner Zeit. Sie kann begleitet sein von spontanen Bekenntnissen des Unmuts, des Überdrusses und zuweilen der Müdigkeit. So gestand Fontane am 23. 12. 1874, als er noch an seinem mehrbändigen, jedoch schleppend erscheinenden Werk über den Krieg von 1870/71 arbeitete: „Ich komme mir mit meinen Schreibereien vor wie ein Clown im Zirkus“ (Bd. 3, S. 15G). Eis sind aber in diesen Briefen an Mathilde von Rohr auch ausgiebig die praktischen Erfahrungen beschrieben, die Fontane mit preußischen Zuständen und Einrichtungen gemacht hat (insbesondere mit dem Kultusministerium) und die die konkreten Anlässe zu den oft so kritischen Bemerkungen des alten Fontane darstellen. So ist denn z. B. die Kritik, die Fontane später in stärker pointierter Form an der gesellschaftlichen Stellung des Schriftstellers in Deutschland geübt hat, hier bereits vorgebildet.
Was schließlich die Revision der Texte angeht, so bestätigt sie zunächst das, was bereits bekannt war. Wenn in früheren Ausgaben gekürzt, verändert oder gar willkürlich Nicht-Zusammengehörendes ineinander gearbeitet worden ist, so geschah das zum Teil, um die Stellen auszuscheiden, die den Leser nach Auffassung der Herausgeber nicht interessieren würden, etwa über Familienangelegenheiten oder unwesentliche Einzelheiten über Fontanes Arbeit. Zum anderen aber wurde das weggelassen, was man dem Leser vorenthalten wollte. Dabei handelte es sich vor allem um Urteile Fontanes über Freunde und Bekannte, sei es nun, daß diese Urteile eben nur für den Empfänger des Briefes bestimmt schienen und sich folglich zu öffentlicher Mitteilung (zumindest damals) nicht eigneten, sei es, daß Rücksicht auf noch lebende Personen oder auf die Angehörigen Verstorbener zu nehmen war. In Band 4 dieser Ausgabe wird jeweils zu Beginn der Anmerkungen zu einem jeden Brief erforderlichenfalls auf Kürzungen des Textes in früheren Ausgaben hingewiesen. Es ist interessant, bei jenen Briefen, bei denen es früher „längere Auslassungen“ gegeben hat, den gekürzten und den vollständigen Text miteinander zu vergleichen. Um ein Exempel herauszugreifen: aus dem Brief Fontanes an Mathilde von Rohr vom 15. 1. 1880 ist seinerzeit ein (wie Fontane selbst es bezeichnet) „ganzer Lepel-Essay" weggelassen worden (Bd. 3, S. 1921), und das, obschon Ende 1909, als die „Briefe an seine Freunde“ erschienen, Bernhard von Lepel und seine zweite Frau, über
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